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Familie Kohn
Seit 2022 trägt dieser Platz den Namen von Ilse Kohn (Öffnet in einem neuen Tab), einer Jüdin, die 1906 in Coburg geboren wurde. Ihre Eltern, ursprünglich aus Böhmen, kamen 1901 in die Vestestadt. Hier eröffnete Vater Siegfried Kohn (Öffnet in einem neuen Tab) ein Tuch- und Modewarengeschäft. Die Firma etablierte sich schnell in der hiesigen Geschäftswelt und konnte schon 1909 neue Räumlichkeiten im Haus Mohrenstraße 36 beziehen. Zugleich gründete Kohn eine eigene Familie. Neben Tochter Ilse kamen zwei weitere Kinder zur Welt, die beide in jungen Jahren starben. Während des Ersten Weltkriegs zeigte die Familie Mitgefühl und Solidarität, indem sie dem Roten Kreuz Betttücher, Hemdenstoffe und Wolle spendete. Auch Arme und Bedürftige erhielten Warenspenden.
Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten änderte sich das Leben der Familie Kohn schlagartig und auf grausame Weise. Im März 1933 geriet Siegfried Kohn in das Visier der neuen Machthaber. Er wurde von sogenannten SA-Männern, sogenannten „Notpolizisten“ in „Schutzhaft“ genommen und in die berüchtigte „Prügelstube“ gebracht, wo er mindestens einmal schwer misshandelt wurde. Zeitgleich riefen die Nationalsozialisten zum Boykott seines Geschäfts auf. Obwohl er nach seiner Freilassung den Betrieb wieder aufnahm, blieben die Kunden zunehmend aus. Die wenigen, die noch kamen, verweigerten oft die Bezahlung, was dazu führte, dass sich Außenstände von über 7000 Reichsmark anhäuften.
Inmitten dieser bedrückenden Umstände verließ Ilse Kohn Coburg. 1934 heiratete sie den Niederländer Moses Pool und zog mit ihm nach Amsterdam. Doch auch dort fand sie kein Glück. Die Ehe scheiterte und wurde 1937 geschieden. Ilse nahm ihren Mädchennamen wieder an und arbeitete als Haushälterin und Pensionswirtin. Doch auch in den Niederlanden holte sie das Grauen des Naziregimes ein, als die Wehrmacht 1940 das Land besetzte. Ilse Kohn verfügte nicht über die finanziellen Mittel, um zu fliehen, und wurde so erneut zum Opfer der antisemitischen Verfolgung, vor der sie einst geflüchtet war.
1938 ereilte die Familie ein weiterer furchtbarer Schlag: Ilses Vater wurde in seinem Geschäft, wohl von einem fanatischen Antisemiten, erstochen. Der Täter wurde nie zur Rechenschaft gezogen. Unter dem Eindruck dieses schrecklichen Ereignisses löste Ilses Mutter, Hermine Kohn (Öffnet in einem neuen Tab), das Geschäft auf. Ein linientreuer Kaufmann übernahm die Warenbestände. Im April 1942 wurde Hermine deportiert und ins Ghetto Kraśniczyn bei Lublin verschleppt, wo sich ihre Spur verliert. Ilse Kohn kam Ende Juli 1942 in das Durchgangslager Westerbork und von dort aus mit dem Transportzug „T 27-7-42“ ins Konzentrationslager Auschwitz deportiert. Einen Monat später wurde sie dort ermordet.
An dieses Schicksal soll der Platzname erinnern. Der Name Ilse Kohn steht aber auch für das Schicksal ihrer Eltern und aller anderen Coburger Juden, die durch die Nationalsozialisten getötet wurden.
Mediziner
Seit dem Ende des 17. Jahrhunderts war es Juden möglich, in Deutschland Medizin zu studieren. In der Folge nahm die Zahl jüdischer Ärzte vor allem in den größeren Städten zu. So eröffnete bereits 1756 in Berlin ein jüdisches Krankenhaus. Im Zuge der Aufklärung gehörten Ärzte zur jüdischen Bildungselite. In Coburg ließ sich erst 1866 mit dem Zahnarzt Hermann Simon der erste Mediziner jüdischen Glaubens nieder. Nach 1900 folgten sieben weitere Ärzte. Sie betrieben allesamt eine eigene Praxis. Die meisten von Ihnen siedelten sich im vornehmen Bahnhofsviertel oder in der Mohrenstraße an. Dem Landkrankenhaus Coburg, dem Vorgänger des heutigen Klinikums, stand zudem seit 1909 als Direktor der jüdische Mediziner Franz Colmers vor. Er übte dieses Amt 15 Jahre aus.
1905 eröffnete der aus Coburg stammende promovierte Arzt Emil Gutmann (Öffnet in einem neuen Tab) im Haus Mohrenstraße 32 (drittes Haus links) eine Fachpraxis für Orthopädie und Chirurgie. Während des Ersten Weltkrieges war er Stabsarzt in einem Bamberger und Würzburger Lazarett. Zur Zeit der Weimarer Republik baute Gutmann seine Praxis zu einer Fachklinik für Orthopädie aus. Er erwarb sich einen guten Ruf, war als Unfallarzt und medizinischer Sachverständiger tätig. Daneben veröffentlichte er Beiträge in Fachzeitschriften. Seine beiden Töchter, Helene (Öffnet in einem neuen Tab) und Margarethe (Öffnet in einem neuen Tab), wollten ebenfalls einen medizinischen Beruf ergreifen.
Mit der Machtübernahme Hitlers änderte sich die Situation für die Familie schlagartig. Schon 1933 verlor Gutmann, wie auch die anderen jüdischen Ärzte, die kassenärztliche Zulassung. Von nun an durfte er nur noch Juden und Privatpatienten behandeln. Zugleich wurde den Töchtern die berufliche Zukunft verbaut. Beide gingen deshalb ins Ausland. 1938 wurde den jüdischen Ärzten und ein Jahr später auch den Zahn- und Tierärzten, durch die IV. und VIII. Verordnung zum Reichsbürgergesetz die Approbation entzogen. Jüdische Mediziner durften sich fortan nicht mehr als Arzt bezeichnen. Einige jüdische Ärzte setzten ihre Arbeit danach als „Krankenbehandler“ fort und sicherten damit die medizinische Versorgung der jüdischen Bevölkerung. Viele Betroffene begingen aber Selbstmord oder verließen – wie auch Emil Gutmann – Deutschland.
Im Oktober 1941 flüchtete er mit seiner Frau nach Kuba. Von dort aus ging er 1943 in die USA und starb 1956 in Hollywood. Nachdem schon vier andere jüdische Ärzte aus der Vestestadt hatten fliehen können, waren die Gutmans die letzten Juden gewesen, denen es noch vor Beginn der Deportationen gelang, aus Coburg zu flüchten. Der letzte jüdische Arzt, Moritz Cramer (Öffnet in einem neuen Tab), wurde Ende November 1941 deportiert und ins Lager Riga-Jungfernhof gebracht. Dort wurde er wohl ermordet.
Nächste Station
Jüdische Viehhändler wie Siegfried Stern prägten Coburgs Wirtschaft ab 1871. Trotz antisemitischer Hetze behaupteten sie sich bis 1935, bevor ihnen die Konzession entzogen und die Flucht erzwungen wurde.
Über den Erinnerungsweg
Der Erinnerungsweg „Jüdisches Leben in Coburg“ erinnert in 14 Stationen an die jüdische Gemeinde Coburgs. Die Stationen erstrecken sich von der Integration in die Coburger Stadtgesellschaft Mitte des 19. Jahrhunderts bis hin zur Vernichtung nach der frühen Machtergreifung der Nationalsozialisten.
Coburgerinnen und Coburger jüdischen Glaubens waren viele Jahrzehnte Teil der Stadtgemeinschaft. Durch den Nationalsozialismus wurden die jüdische Gemeinde und ihre Mitglieder in Coburg ausgelöscht. Sie mussten fliehen oder wurden ermordet. Es liegt in unserer Verantwortung, die Erinnerung an ihr Wirken und ihr Leiden in der Stadt Coburg lebendig zu erhalten.
Der Stadtrat der Stadt Coburg hat daher 2023 beschlossen, mit einem Erinnerungsweg dem jüdischen Leben in Coburg zu gedenken. Der Erinnerungsweg wurde am 31. Juli 2025 feierlich eingeweiht.