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Stadt Coburg

Stolperstein

Siegfried Kohn

Inhalt

  1. Biographie
  2. Leben in Scheibenradisch
  3. Heirat
  4. Geschäft
  5. Wachsender Antisemitismus
  6. NS-Zeit
  7. Ermordung
Verlegeort des Stolpersteins

Biographie

Stolperstein für Siegfried Kohn (ki-bearbeitet)

Siegfried Kohn kam 28. März 1873 in Scheibenradisch (tschechisch: Okrouhlé Hradiště) in Böhmen zur Welt.[1] Sein Vater Jakob Kohn wurde etwa 1851 geboren, seine Mutter Lorie Kohn, geb. Rindskopf, kam am 30. August 1850 in Amonsgrün (Böhmen) zur Welt. Siegfried hatte acht Geschwister:

  • Karolina Kohn (geb. 04.04.1872, Scheibenradisch)
  • Auguste Kohn (geb. 06.11.1874, Scheibenradisch)
  • Fanny Kohn (geb. 26.04.1876, Scheibenradisch) 
  • Heinrich Kohn (geb. 29.01.1879, Scheibenradisch)
  • Max Kohn (Öffnet in einem neuen Tab) (geb. 06.05.1881, Scheibenradisch)
  • Berta Kohn (geb. 20.03.1884, Scheibenradisch)
  • Isidor Kohn (geb. 14.06.1886, Scheibenradisch)
  • Erna Kohn (geb. 30.07.1891, Scheibenradisch)

Leben in Scheibenradisch

Im Dorf Scheibenradisch ist seit Beginn des 18. Jahrhunderts eine jüdische Ansiedlung nachweisbar. Die dort lebenden jüdischen Einwohner gehörten zur Kultusgemeinde der etwa vier Kilometer südlich gelegenen Stadt Weseritz (tschechisch: Bezdružice). Spätestens seit dem Jahr 1847 verfügten sie über einen eigenen Betsaal, eine eigenständige Synagoge ist jedoch nicht belegt. Bestattungen jüdischer Einwohner aus Scheibenradisch fanden auf dem jüdischen Friedhof in Weseritz statt, wie aus den dortigen Grabinschriften hervorgeht. Laut der österreichischen Volkszählung von 1857 lebten in Scheibenradisch insgesamt 387 Personen, darunter 20 jüdische Einwohner – etwa fünf Prozent der Gesamtbevölkerung. Dies stellt den höchsten bisher dokumentierten Anteil jüdischer Bevölkerung im Ort dar. In den folgenden Jahrzehnten verringerte sich deren Zahl durch Abwanderung in städtische Zentren sowie infolge der rechtlichen Gleichstellung im Zuge der Emanzipationsgesetze. [2]

Heirat

Siegfried Kohn heiratete am 20. August 1901 in Pilsen Hermine Kirschner (Öffnet in einem neuen Tab).[3] Sie war ebenfalls Jüdin und wurde am 12. Juni 1878 in Skupsch (tschechisch: Skupeč) in Böhmen geboren.[4] Ihre Eltern waren Jakob Kirschner und Julie Kirschner, geborene Rindskopf.

Aus der Ehe gingen drei Kinder hervor: eine Tochter namens Herta, geboren am 3. September 1902, eine weitere Tochter namens Ilse (Öffnet in einem neuen Tab), geboren am 16. März 1906 sowie einen Sohn Justin, geboren am 6. Januar 1913. Von den drei Kindern erreichte lediglich Ilse das Erwachsenenalter.[5]

Geschäft

Wohnhaus der Familie Kohn in der Mohrenstraße

Im Juli 1901 eröffnete Siegfried Kohn am Rande des Coburger Marktplatzes eine Tuch-,Mode- und Weißwarenhandlung.[6] Das Unternehmen etablierte sich rasch in der örtlichen Geschäftswelt und konnte bereits 1909 größere Geschäftsräume in der Mohrenstraße 36 beziehen.[7] Während des Ersten Weltkrieges unterstützte die Firma das Rote Kreuz durch Sachspenden, darunter Betttücher, Hemdenstoffe und Wolle.[8] Auch Bedürftige und sozial Schwache erhielten Warenhilfen.[9] Im August 1923 – dem Jahr der Hyperinflation – leistete unter anderem die Textilhandlung von Siegfried Kohn eine großzügige Warenspende „zur Behebung der größten Not“ in der Coburger Bevölkerung. Besonders in Zeiten extremer Geldentwertung stellten derartige Sachspenden eine bedeutende Form praktischer Hilfe und Solidarität dar.[10] In den 1920er Jahren spezialisierte sich das Geschäft auf den Verkauf von Kinderbekleidung der Marke „Bleyle´s“, einer in Stuttgart ansässigen Firma, die insbesondere für Matrosenanzüge und Knabenmode bekannt war.[11] Bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 führte Siegfried Kohn seine Geschäfte sehr erfolgreich. Die Familie war durch den wirtschaftlichen Erfolg in die bürgerliche Mittelschicht aufgestiegen. Danach verschlechterte sich die ökonomische Situation. 

Wachsender Antisemitismus

Nach dem Ersten Weltkrieg verschlechterte sich die gesellschaftliche Lage für die jüdische Bevölkerung in Coburg deutlich. In der instabilen Nachkriegszeit nahmen antisemitische Stimmungen zu. Jüdische Mitbürger wurden – durch Presse, Flugblätter und politische Propaganda befeuert – pauschal für Niederlage und Krisen verantwortlich gemacht. Ab 1919 trugen völkisch-nationalistische Gruppen zur weiteren Verbreitung dieser Ressentiments bei. In Coburg fand diese Stimmung früh Anschluss an die politische Radikalisierung, in deren Folge die NSDAP bereits in den 1920er Jahren an Einfluss gewann.

Nach dem kommunalpolitischen Wahlsieg der NSDAP 1929 kam es verstärkt zu Übergriffen auf jüdische Geschäftsleute, zu Sachbeschädigungen und physischen Angriffen. Strafrechtliche Konsequenzen blieben meist aus. Rechtliche Gegenwehr durch Anzeigen und Klagen hatte angesichts der Passivität der Behörden kaum Erfolg. Viele jüdische Familien verließen Coburg bereits vor 1933: Die Mitgliederzahl der Gemeinde sank von 316 (1925) auf 233 (1933) – Ausdruck zunehmender Ausgrenzung und Verunsicherung.[12] Auf die Familie Kohn hatte diese Entwicklung offenbar aber keine konkreten Auswirkungen Über antisemitische Übergriffe auf Siegfried Kohn ist in dieser Zeit nichts bekannt.  

NS-Zeit

Siegfried Kohn (ki-bearbeitet)

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahr 1933 geriet Siegfried Kohn unmittelbar ins Visier der neuen Machthaber. Im März 1933 wurde er in sogenannte „Schutzhaft“ genommen - ein Begriff, der im nationalsozialistischen Sprachgebrauch die rechtsstaatlich nicht legitimierte, willkürliche Inhaftierung von Regimegegnern und jüdischen Bürgern verschleiern sollte. In der „Prügelstube“ in der Alten Herberge kam es mindestens einmal zu Misshandlungen an Siegfried Kohn: Er musste seine Kleider wenden und vor dem überhitzten Ofen körperliche Übungen ausführen. Als diese offenbar nicht zur Zufriedenheit der anwesenden „Notpolizisten“ ausfielen, wurde er ausgepeitscht. En Mithäftling berichtete später im „Prügelstubenprozess“, dass Siegfried Kohn bei seiner Auspeitschung gebrüllt habe, wie er noch nie ein Tier habe brüllen hören. Nach diesem Martyrium kehrte Siegfried Kohn, nur mit einem Hemd bekleidet, zu den anderen Häftlingen zurück.[13] Nach einigen Tagen Haft entließen ihn seine Peiniger.

Bereits im selben Monat begannen in Coburg erste lokale Boykottaktionen gegen jüdische Geschäftsinhaber. Am 10. März 1933 versammelten sich mehrere Hundert Personen vor dem Geschäft von Siegfried Kohn und forderten dessen Schließung. Aus Angst um seine persönliche Sicherheit kam Kohn dieser Forderung nach und schloss das Geschäft „freiwillig“. Obwohl damit jüdischen Händlern und Kaufleuten faktisch die Berufsausübung verwehrt worden war, griff das Polizeiamt Coburg nicht ein. Im Gegenteil: Es informierte den Stadtkommissar von Baczko, man sei nicht in der Lage, die Menschenmenge zu kontrollieren, und empfahl, alle jüdischen Geschäfte für einen unbestimmten Zeitraum zu schließen. Eine Weigerung werde als „bewusst provokatorisch“ gewertet; betroffene Geschäftsinhaber stünden dann nicht mehr unter dem Schutz der Polizei, und für etwaige Schäden werde keine Verantwortung übernommen. Dieser Anweisung folgten alle jüdischen Geschäftsinhaber in Coburg.[14] 

Am 1. April 1933 fand auf Reichsebene ein zentral organisierter Boykott jüdischer Geschäfte statt, zu dem die NSDAP aufgerufen hatte. Auch die Firma von Siegfried Kohn war davon betroffen.[15] In den Folgejahren verschlechterte sich die geschäftliche Lage zunehmend. Die Zahl der Kundinnen und Kunden ging stark zurück. Einige sogenannte „arische“ Käufer verweigerten zudem die Bezahlung der gelieferten Waren. Bis Ende 1938 beliefen sich Kohns Außenstände auf 12.790,84 Reichsmark.[16] 1937 gab Kohn sein Ladengeschäft auf. Er verkaufte seine Waren fortan in seiner Wohnung in der Mohrenstraße 10.[17] 

Aufgrund des antisemitischen und rechtlichen Drucks zur Aufgabe seines Geschäftes gezwungen, bemühte sich Siegfried Kohn durch den Hausierhandel Einnahmen zu generieren. Die Behörden sahen hierin eine Gefahr für potentielle „staatsabträgliche Propaganda“. Vor Erteilung eines sogenannten „Hausier- bzw. Wandergewerbescheines“ sollte ein „Unbedenklichkeitszeugnis in politischer Hinsicht“ vorausgesetzt werden. Siegfried Kohn versagten die Behörden dieses, da er „bis 1933 eingeschriebenes Mitglied der SPD war und er als Jude auch heute noch seine Gesinnung nicht geändert haben dürfte.“[18] Trotz dieser Bedenken erhielt Kohn die Erlaubnis zum Hausierhandel.[19]

Ermordung

Grabstein von Siegfried Kohn auf dem jüdischen Friedhof

Am 20. Oktober 1938 wurde Kohn in seinem Laden wohl von einem fanatischen Nationalsozialisten erstochen. Die Staatsanwaltschaft teilte dazu mit: „In den gestrigen Mittagsstunden, gegen halb zwei Uhr, wurde der jüdische Kaufmann Siegfried Kohn durch einen bisher noch nicht ermittelten Täter erstochen. Dieser Täter war bereits im Laufe des Vormittags zwischen elf und zwölf Uhr in dem Geschäftsraum des Kohn, um ihm geschäftliche Anerbietungen zu machen. Er ist nach etwa einer Stunde wieder gegangen. Etwa um halb zwei Uhr hörte die Hausangestellte des Kohn laute Hilferufe. Sie eilte zum Geschäftsraum und fand Kohn im Handgemenge mit dem Täter. Kohn wurde von ihm durch mehrere Stiche schwer verletzt. Er konnte sich noch bis zum nächsten Treppenabsatz schleppen, wo er tot zusammenbrach.“[20] Obwohl die Hausangestellte den Angreifer identifizierte, wurde dieser nie strafrechtlich zur Verantwortung gezogen.[21]  Siegfried Kohn wurde auf dem jüdischen Friedhof in Coburg beigesetzt.[22]

Nur wenige Wochen nach seinem gewaltsamen Tod kam es am 9. November 1938 zur reichsweiten Pogromnacht, die eine neue Eskalationsstufe in der antisemitischen Verfolgungspolitik der Nationalsozialisten markierte. Als Vorwand diente dem NS-Regime das Attentat des deutsch-polnischen Juden Herschel Grynszpan auf den deutschen Diplomaten Ernst vom Rath in Paris am 7. November 1938. In der Folge wurde die antijüdische Gesetzgebung massiv verschärft. Mit der am 12. November 1938 erlassenen „Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben“ wurde jüdischen Unternehmerinnen und Unternehmern schließlich untersagt, ab dem 1. Januar 1939 weiterhin Einzelhandelsgeschäfte oder Handwerksbetriebe zu führen.[23] Die nunmehrige Abwicklung der Firma Kohn oblag nun seiner Witwe Hermine Kohn.[24] 

Quellen- und Literaturverzeichnis

[1]    Stadtarchiv Coburg, Einwohnerkartei, Kohn Siegfried und Hermine.

[2]    Fiedler, Jiří Václav, Fred Chvátal: Židovské památky Tachovska, Plánska a Střibrska/Jüdische Denkmäler im Tachauer, Planer und Mieser Land, Domažlice 2008, S.110f. sowie S.47-54, hier bes. S.54; Zu Weseritz (Bezdružice) siehe auch: Rozkošná, Blanka, Jakubec, Pavel: Židovské památky Čech, Historie a památky židovského osidleni Čech/ Jewish Monuments in Bohemia, History and Monuments oft he Jewish Settlements in Bohemia, Brno 2004, S.82f.

[3]    Stadtarchiv Coburg: Todesbucheintrag Siegfried Kohn vom 22. Oktober 1938 (Nr.382).

[4]    Stadtarchiv Coburg, Einwohnerkartei, Kohn Siegfried und Hermine.

[5]    "Regierungs-Blatt für das Herzogtum Coburg" vom 13.09.1902, S. 660; Siehe auch: "Regierungs-Blatt für das Herzogtum Coburg" vom 31.03.1906, S. 272; Siehe auch: "Regierungs-Blatt für das Herzogtum Coburg" vom 15.01.1913, S. 26; Siehe auch: "Coburger Zeitung" vom 22.09.1906 und vom 26.06.1913.

[6]    "Regierungs-Blatt für das Herzogtum Coburg" vom 10.07.1901, S. 508.

[7]    Stadtarchiv Coburg, Einwohnerkartei, Kohn, Siegfried und Hermine.

[8]    "Coburger Zeitung" vom 18.08.1914. 

[9]    "Coburger Zeitung" vom 22.11.1924.

[10]   "Coburger Zeitung“ vom 28. August 1923.

[11]   "Coburger Zeitung" vom 24.03.1928.

[12]   Eva Karl, "Coburg voran!“ Mechanismen der Macht – Herrschen und Leben in der „ersten nationalsozialistischen Stadt Deutschlands“, Regensburg 2025, S. 39-172.

[13]    Fromm, Coburger Juden ²2001, S. 63, 65f.; Siehe auch: auch: Karl, Coburg voran! S. 548.

[14]    Stadtarchiv Coburg: A 7870_1, fol.33,72-74; VSiehe auch: Karl: „Coburg voran!“, S.572f.

[15]    "Coburger National-Zeitung" vom 31. März 1933.

[16]    Staatsarchiv Coburg, Finanzamt Coburg 248, Vermögen Hermine Kohn.

[17]    Stadtarchiv Coburg, A 10356, fol. 18; Siehe auch: "Bayerische Ostmark" vom 21.10.1938.

[18]    Stadtarchiv Coburg, A 10395, fol. 18f.

[19]    Stadtarchiv Coburg, A 10395, fol. 42.

[20]    Zitiert nach "Bayerische Ostmark" vom 21.10.1938; Siehe auch: Stadtarchiv Coburg: Todesbucheintrag Siegfried Kohn vom 22. Oktober 1938 (Nr.382).

[21]    Staatsarchiv Coburg, SpkCo-St, K 295; Siehe auch: Mitteilung von Frau Christine Jakob an die Stadt Coburg, Hamburg, 21.03.2021; Siehe auch: Karl: „Coburg voran!“, S.563f.

[22]    Freundliche Mitteilung der Friedhofsverwaltung Coburg.

[23]    Stadtarchiv Coburg, A 10395, fol. 64, Auflösungsbeschluss der Stadt Coburg, 05.12.1938; Siehe auch. Stadtarchiv Coburg, A 11291, fol. 26, Verzeichnis jüdischer Geschäftsbetriebe; Infolge der Reichspogromnacht wurde am 12. November 1938 die „Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben“ erlassen. Diese entzog jüdischen Geschäftsleuten das Recht, ein Gewerbe zu betreiben. Jüdische Unternehmen mussten daher bis zum 31. Dezember 1938 schließen, siehe hierzu: RGBl, I 1938, S. 1580f.  

[24]    Stadtarchiv Coburg, A. 10395, fol. 109, Zwischenbericht des Rechtsbeistandes Jakob Wachtel, Coburg, 7.12.1939; ebd., fol. 119, Abrechnung über die Abwicklung der Firma Kohn; Siehe auch: Karl: „Coburg voran!“, S.617,777.

Patenschaft

Die Patenschaft über den Stolperstein von Siegfried Kohn haben Petra und Dieter Stößlein übernommen.

 

Erläuterungen und Hinweise

Bildnachweise

  • Stadt Coburg
  • Städtische Sammlungen Coburg, Inv.-Nr. 13866,34
  • aus Hubert Fromm, Die Coburger Juden, 2. Aufl. Coburg 2001, S. 90.
  • Christian Boseckert
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