Seit 2009 erinnern in Coburg weit mehr als 100 Stolpersteine an die Opfer der NS-Vernichtungspolitik. Sie tragen die Namen von 223 Coburgerinnen und Coburgern, deren Leben durch Entrechtung, Deportation und Mord beendet wurde. Ab sofort sind ihre Biografien auch online zugänglich: Im neuen Portal www.coburg.de/stolpersteine sind die Geschichten der Opfer wissenschaftlich fundiert aufbereitet und für die Öffentlichkeit dauerhaft verfügbar macht.
„Die Stolpersteine im Stadtbild und das Portal im Netz bilden ein dichtes Erinnerungsnetz. Sie dokumentieren nicht nur unsere Vergangenheit, sondern mahnen uns zugleich in der Gegenwart. So stellt sich Coburg seiner Geschichte und seiner Verantwortung erklärte Bürgermeister Can Aydin bei der Vorstellung.
Die Erstellung des Portals war nicht nur eine technische, sondern vor allem eine inhaltliche Aufgabe. Stadtheimatpfleger Dr. Christian Boseckert und Finn Ebsen, Volontär in der Kulturabteilung, haben mit Unterstützung von Michael Tröbs, Leiter des Stadtarchivs, die vorhandenen Recherchen überprüft und ergänzt. Dabei wurden auch Fehler korrigiert. „Die Kollegen haben früher schon sehr sorgfältig gearbeitet. Trotzdem gab es inhaltliche Ungenauigkeiten, die nun behoben sind“, so Boseckert. Ebsen beschreibt die Herausforderung, fragmentarische Quellen zu einem stimmigen Lebenslauf zusammenzuführen. Häufig liegen nur Aktennotizen oder bruchstückhafte Erinnerungen vor: „Gerade weil die meisten Spuren im Dunkeln enden, ist es wichtig, die einzelnen Mosaiksteine genau zusammenzusetzen.“
Technisch umgesetzt wurde das Projekt von Stefan Fey, CDO der Stadt Coburg. Die Plattform wurde so konzipiert, dass auch Fußnoten und Quellenangaben integriert werden können. „Wir wollten nicht nur ein digitales Schaufenster, sondern ein wissenschaftlich belastbares Angebot schaffen“, betont Fey.
Das Ergebnis ist eine hybride Form: Die Biografien sind für interessierte Bürgerinnen und Bürger verständlich geschrieben, erfüllen aber zugleich den Anspruch, als seriöse Grundlage für Forschung und Bildungsarbeit zu dienen.
Die Stolpersteine sind seit über 15 Jahren Teil des Coburger Stadtbildes. Sie holen die Erinnerung buchstäblich auf den Boden der Gegenwart: vor Häuser, in Straßen, auf Plätze. Doch ein Blick auf die glänzende Messingplakette allein lässt viele Fragen offen. Wer war dieser Mensch? Welche Familie, welche Geschichte verbirgt sich hinter dem Namen? Das Portal liefert Antworten – und macht sichtbar, dass jeder Stein für ein individuelles Leben steht.
Schon früh nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten zeigte sich die Brutalität auch in Coburg. Bereits 1933 wurden über 80 Jüdinnen, Juden und Regimegegner*innen in der sogenannten „Prügelstube“, einer ehemaligen Herberge am Marktplatz, misshandelt. Auch Morde an jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern sind dokumentiert. Für viele andere verliert sich die Spur in Transportlisten und Lagerregistern.
Mit dem neuen Portal schafft die Stadt einen Raum, in dem diese Biografien nicht verloren gehen. Es ist Rechercheergebnis, Mahnmal und Bildungsressource zugleich. Lehrkräfte können die Texte im Unterricht einsetzen, Forschende finden belastbare Angaben, Bürgerinnen und Bürger können die Schicksale der Opfer nachvollziehen.
„Und es ist ein Ort, an dem Geschichte erzählbar bleibt. Denn Erinnerung bedeutet mehr als bloßes Festhalten von Daten. Sie erfordert, den Menschen hinter den Zahlen sichtbar zu machen – mit all seinen Hoffnungen, Brüchen und dem gewaltsamen Ende“, so Can Aydin.