Inhalt anspringen

Stadt Coburg

Stolperstein

Wolfgang (Walter) Plessner

Inhalt

  1. Biographie
  2. Wachsender Antisemitismus
  3. NS-Zeit
  4. Leben in den USA
Verlegeort des Stolpersteins

Biographie

Stolperstein für Wolfgang Plessner (ki-bearbeitet)

Wolfgang Plessner kam am 4. Februar 1918 in Coburg zur Welt.[1] Sein Vater Alfred Plessner (Öffnet in einem neuen Tab) wurde am 6. Februar 1887 in Coburg, seine Mutter Margarethe Plessner, geborene Lohde (Öffnet in einem neuen Tab), am 23.Juni 1892 in Gerdauen (Ostpreußen) geboren.[2] Wolfgang hatte einen Bruder:

Wachsender Antisemitismus

Wohnhaus der Familie Plessner in der Mohrenstraße

Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs veränderte sich die gesellschaftliche Situation der jüdischen Bevölkerung in Coburg spürbar. Antisemitische Einstellungen, die bereits im Kaiserreich verbreitet gewesen waren, erhielten durch die militärische Niederlage, die Folgen des Versailler Vertrags sowie die politischen und wirtschaftlichen Krisenjahre neue Nahrung. In Teilen der Bevölkerung wurden Juden fälschlicherweise als Mitverantwortliche für die Niederlage und die schwierige Nachkriegslage betrachtet – ein Vorwurf, der sich in der antisemitischen „Dolchstoßlegende“ widerspiegelte.

Bereits ab 1919 sind in Coburg vermehrt antisemitische Äußerungen und Agitationen in Flugblättern, Zeitungsartikeln, Plakaten und öffentlichen Vorträgen nachweisbar. Diese Formen der Propaganda trugen dazu bei, ein Klima zu schaffen, in dem spätere Diskriminierungen und Gewaltakte leichter Anschluss fanden.

Einen deutlichen Einschnitt bildete der kommunalpolitische Erfolg der NSDAP in Coburg im Jahr 1929, als die Partei bei den Stadtratswahlen die stärkste Fraktion stellte. In der Folge häuften sich Berichte über Sachbeschädigungen an jüdischem Eigentum sowie Übergriffe auf einzelne jüdische Bürgerinnen und Bürger. Angehörige der jüdischen Gemeinde reagierten auf solche Angriffe unter anderem mit Anzeigen und Klagen. Die überlieferten Gerichtsakten zeigen jedoch, dass diese rechtlichen Schritte nur selten zu einer nachhaltigen Verbesserung der Situation führten.

Die Mitgliederzahl der jüdischen Gemeinde ging in dieser Zeit spürbar zurück: Während 1925 noch 316 Personen gezählt wurden, waren es 1933 nur noch 233. Neben wirtschaftlichen Gründen spielten für diesen Rückgang auch Wegzüge aufgrund der zunehmenden antisemitischen Anfeindungen eine Rolle.[4]

Wolfgang Plessner erlebte diese Entwicklungen während seiner Kindheit und Jugend. Er besuchte ab etwa 1928 das Gymnasium Casimirianum.[5] Am 15. Oktober 1932 verließ er im laufenden Schuljahr die Schule.[6] Anschließend absolvierte er eine Lehre als Kaufmann, die er wohl erfolgreich abschloss.[7] Die Erfahrungsberichte jüdischer Schülerinnen und Schüler dieser Zeit sind uneinheitlich: Einige berichten, sie hätten bis 1933 kaum antisemitische Anfeindungen erlebt, andere schildern Ausgrenzung, Isolation oder offene Feindseligkeiten – sowohl durch Mitschüler als auch durch Lehrkräfte.[8] Ob Wolfgang Plessner persönlich derartige Erfahrungen machte, lässt sich anhand der vorhandenen Quellen nicht belegen.

Vermutlich feierte er, der jüdischen Tradition entsprechend, um 1931 in der Coburger Synagoge seine Bar Mitzwa. Einen direkten Quellenbeleg gibt es dazu nicht.

NS-Zeit

Auch nach Hitlers Machtergreifung blieb die Familie Plessner zunächst von den direkten Repressalien unbehelligt. Wie alle als jüdisch klassifizierten Personen war jedoch auch sie ab 1933 zunehmend diskriminierenden Maßnahmen und rechtlichen Einschränkungen ausgesetzt. Diese verschärften sich deutlich nach Inkrafttreten der Nürnberger Gesetze im September 1935. Die Gesetze beendeten nicht nur faktisch die staatsbürgerliche Gleichstellung der Juden, sondern legten erstmals eine „rassische“ Definition jüdischer Zugehörigkeit fest.[9]

Im Zuge dieser zunehmenden Entrechtung bereitete sich Wolfgang Plessner offenbar auf eine Auswanderung vor. Wahrscheinlich aus diesem Grund trat er in das Landwerk Neuendorf bei Fürstenwalde ein. Es handelte sich dabei um eine sogenannte Hachschara-Einrichtung, in der jüdische Jugendliche landwirtschaftliche, gärtnerische und handwerkliche Grundkenntnisse[10] zur Vorbereitung auf eine Ausreise, insbesondere nach Palästina, erlernen konnten.[11] Inwieweit Wolfgang Plessner dort eine vollständige Ausbildung abschloss, ist nicht sicher belegbar. Laut Einwohnerkartei wurde sein Beruf später als „landwirtschaftlicher Gehilfe“ angegeben.[12]

Nach Abschluss seiner Ausbildungszeit kehrte er vorübergehend nach Coburg zurück und lebte erneut mit seinen Eltern in der Wohnung in der Mohrenstraße 9b.[13]  Zwischenzeitlich war er für mehrere Monate in Memmelsdorf gemeldet. Im August 1938 kehrte er erneut nach Coburg zurück. Dort wurde er Zeuge und Betroffener der Gewaltmaßnahmen während der Reichspogromnacht am 9./10. November 1938.

Im Verlauf dieses reichsweit orchestrierten Pogroms kam es auch in Coburg zu Übergriffen auf jüdische Bürger Die Familie Plessner, wie auch die anderen Juden, wurden am 10. November 1938 durch die Straßen Coburgs getrieben und auf dem Markt an den Pranger gestellt.[14] Die Frauen und Kinder durften anschließend nach Hause zurückkehren, während Alfred und Wolfgang Plessner sowie die anderen jüdischen Männer in die alte Angerturnhalle gebracht wurden. Dort sollten 16 von ihnen in das Konzentrationslager Dachau deportiert werden. Da das Lager jedoch überfüllt war, wurden die Inhaftierten stattdessen in das Gefängnis nach Hof an der Saale gebracht.[15] Unter den Männern, die dort hingebracht wurden, war Alfreds Sohn Wolfgang.Er wurde dort etwa zwei Monate lang inhaftiert.[16] Glück hatte hier Horst Plessner. Er verließ Coburg rund einen Monat vor diesen Ereignissen und war in der Zwischenzeit in die Vereinigten Staaten geflohen.[17] 

Dieses prägende Erlebnis der Inhaftierung sowie die sich verschärfenden Lebensbedingungen bewegten Wolfgang Plessner vermutlich dazu, ebenfalls eine Flucht ernsthaft zu planen. Anfang 1939 gelang ihm die Emigration.[18] Er verließ Deutschland per Schiff und gelangte nach Guatemala. Dies war eines der wenigen Länder, das zu diesem Zeitpunkt noch jüdische Flüchtlinge aufnahm. Dort war er in der Folgezeit unter der Berufsbezeichnung „Superintendent– Warehouse“ (Lagerverwalter / Logistiker) tätig.[19]

Leben in den USA

Am 3. Oktober 1945 reiste Wolfgang Plessner mit einem Flugzeug der Pan American Airways aus Guatemala in die Vereinigten Staaten ein. Bei seiner Ankunft in New Orleans verfügte er über 150 US-Dollar. Der genaue rechtliche Status seiner Einreise (z. B. über ein Einwanderungs- oder Flüchtlingsvisum) ist aus den verfügbaren Dokumenten nicht vollständig erschließbar, jedoch deutet die frühe Einreise kurz nach Kriegsende auf erfolgreiche Migrationsbemühungen bereits in Guatemala hin.[20]

Plessner ließ sich zunächst in Beverly Hills, Kalifornien nieder, wo er in den ersten Wochen auf Arbeitssuche war.[21] Bereits im November 1945 fand er eine Anstellung als „radio stock clerk“, was vermutlich eine Tätigkeit als Lager- oder Versandmitarbeiter im Bereich Radiogeräte oder -zubehör bedeutete.[22] Die genaue Firma ist nicht dokumentiert, doch der Berufseinstieg deutet auf eine rasche wirtschaftliche Eingliederung hin.

In den Vereinigten Staaten lernte Wolfgang Plessner Rachel Laster kennen. Rachel war am 7. März 1921 in Berlin geboren worden und hatte während der NS-Zeit in Portugal Zuflucht gefunden. Sie hielt sich unter anderem in Caldas da Rainha auf und reiste am 24. Juni 1943 an Bord der SS Serpa Pinto von Lissabon nach Philadelphia.[23]  Das portugiesische Passagierschiff war in den Jahren des Zweiten Weltkriegs eine wichtige Verbindungslinie für Flüchtlinge aus Europa, da Portugal zu den wenigen neutralen Transitländern gehörte.

Wolfgang und Rachel heirateten am 9. Dezember 1948 in San Diego, Kalifornien.[24] Im März 1950 erhielt Wolfgang Plessner die US-amerikanische Staatsbürgerschaft; im Zuge dessen nahm er offiziell den Namen Walter Plessner an. Zu diesem Zeitpunkt lebte das Ehepaar in Los Angeles. Rachel Plessner war bereits am 27. Mai 1949 eingebürgert worden.[25] Das Ehepaar hatte eine gemeinsame Tochter. In den folgenden Jahren zog die Familie an die Ostküste nach Great Neck auf Long Island, Bundesstaat New York.[26]

Rachel Plessner verstarb am 6. Mai 2007.[27] Walter Plessner lebte noch zwei weitere Jahre und starb am 15. Mai 2009 im Alter von 91 Jahren in Great Neck. Er wurde auf dem Mount Hebron Cemetery in Queens, New York beigesetzt.[28]

 

Quellen- und Literaturverzeichnis

[1]   Stadtarchiv Coburg, Einwohnerkartei, Plessner, Wolfgang; Siehe auch: „Regierungs-Blatt für das Herzogtum Coburg" vom 16. Februar 1918.

[2]   Stadtarchiv Coburg, Einwohnerkartei, Plessner, Alfred und Margarethe.

[3]   Stadtarchiv Coburg, Einwohnerkartei, Plessner, Horst; Siehe auch: „Coburger Zeitung“ vom 15. Oktober 1915.

[4]   Zusammenfassung von Hubert Fromm, Die Coburger Juden. Geschichte und Schicksal, Coburg ²2001. 

[5]   Staatsarchiv Coburg: Casimirianum 1178.

[6]   Staatsarchiv Coburg: Casimirianum 1182, S.8.

[7]   Stadtarchiv Coburg, Einwohnerkartei: Plessner, Wolfgang.

[8]   Hubert Fromm, Die Coburger Juden. Geschichte und Schicksal, Coburg ²2001, S. 247 (Beispiel: Esther Hirschfeld (Öffnet in einem neuen Tab)); S. 252f. (Beispiel: Hildegard Reinstein (Öffnet in einem neuen Tab)); S. 266f. (Beispiel: Max G. Löwenherz); S. 287 (Beispiel: Hans Morgenthau (Öffnet in einem neuen Tab)); S. 292 (Beispiel: Gertrude Mayer); S. 307 (Beispiel: Siegbert Kaufmann (Öffnet in einem neuen Tab)). 

[9]   RGBl, I 1935, S.1145f.

[10]  Lordick, Harald: Das Landwerk Neuendorf: Berufsumschichtung – Hachschara – Zwangsarbeit, in: Ulrike Pilarczyk, Ofer Ashkenazi et Arne Homann (Hrsg.): Hachschara und Jugend-Alija. Wege jüdischer Jugend nach Palästina 1918-1941 (=Steinhorster Beiträge zur Geschichte von Schule, Kindheit und Jugend, 1) Gifhorn 2020, S.135-164.

[11]  Lordick, Harald: Landwerk Neuendorf in Brandenburg: Jüdische Ausbildungsstätte, Hachschara-Camp, NS-Zwangslager – Gedenkort?, in: Kalonymos 20 (2017), 2, S. 7-12, hier S.9.

[12]  Stadtarchiv Coburg, Einwohnerkartei, Plessner, Wolfgang.

[13]  Stadtarchiv Coburg, Einwohnerkartei, Plessner, Wolfgang.

[14]  Fromm: Coburger Juden, S. 94-97.

[15]  Die Beschreibung dieses Ereignisses bei Fromm, S. 95ff.

[16]  Gabi Bertram, Die Kinder und Enkel kehren zurück, in: „Coburger Tageblatt“ vom 16. April 2025

[17]  Stadtarchiv Coburg, Einwohnerkartei, Plessner, Horst.

[18]  Stadtarchiv Coburg, Einwohnerkartei, Plessner, Wolfgang.

[19]  The National Archives At Washington, D.C.; Washington, D.C.; Passenger Manifests of Airplanes Arriving At New Orleans, Louisiana; NAI-Nummer: 2857330; Titel des Aufzeichnungssatzes: Records of the Immigration and Naturalization Service, 1787-2004; Nummer des Aufzeichnungssatzes: 85 (letzter Zugriff: 16.08.2024).

[20]  Ebd.

[21]  National Archives at St. Louis; St. Louis, Missouri; Wwii Draft Registration Cards For California, 10/16/1940-03/31/1947; Aufzeichnungsgruppe: Records of the Selective Service System, 147; Archiv: 1432 (letzter Zugriff: 19.08.2024).

[22]  National Archives at Riverside; Riverside, California; Declarations of Intention, 1887-1994; NAI-Nummer: 618171; Titel des Aufzeichnungssatzes: Records of District Courts of the United States, 1685-2009; Nummer des Aufzeichnungssatzes: 21 (letzter Zugriff: 19.08.2024).

[23]  National Archives at Riverside; Riverside, California; Petitions For Naturalization, U.s. District Court For the Central District of California (Los Angeles), 1940-1991; NAI-Nummer: 594890; Titel des Aufzeichnungssatzes: Records of District Courts of the United States, 1685-2009; Nummer des Aufzeichnungssatzes: 21 (letzter Zugriff:19.08.2024).

[24]  National Archives at Riverside; Riverside, California; Petitions For Naturalization, 1887 - 1991; NAI-Nummer: 594890; Titel des Aufzeichnungssatzes: Records of District Courts of the United States, 1685-2009; Nummer des Aufzeichnungssatzes: 21 (letzter Zugriff 19.08.2024).

[25]  The National Archives in Washington, DC; Washington, DC; Naturalization Index Cards of the U.S. District Court For the Southern District of California, Central Division (Los Angeles), 1915-1976 (M1525); Seriennummer des Mikrofilms: M1525; Mikrofilmrolle: 88 (letzter Zugriff:19.08.2024).

[26]  "U.S., School Yearbooks, 1880-2012"; Name der Schule: Great Neck South High School; Jahr: 1979 (letzter Zugriff:19.08.2024).

[27]  Ancestry.com. USA, Sozialversicherungsindex, 1936-2007 [database on-line]. Provo, UT, USA: Ancestry.com Operations, Inc., 2015. (letzter Zugriff:19.08.2024).

[28]  https://de.findagrave.com/memorial/77991348/walter-plessner (Öffnet in einem neuen Tab) (letzter Zugriff: 19.08.2024).

 

Patenschaft

Die Patenschaft über den Stolperstein von Wolfgang (Walter) Plessner haben Kevin, Kenneth und Renee Plessner übernommen.

Erläuterungen und Hinweise

Bildnachweise

  • Stadt Coburg
  • Christian Boseckert
  • Stadt Coburg
  • Stadt Coburg
  • Stadt Coburg
  • Stadt Coburg