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Biographie
Margarethe Lohde kam am 23. Juni 1892 in Gerdauen in der preußischen Provinz Ostpreußen zur Welt.[1] Ihr Vater Heimann Lohde wurde am 30. Dezember 1859 in Danzig geboren, ihre Mutter Rosalie Lohde, geborene Elias, kam am 18. November 1857 in Kruglanken in der preußischen Provinz Ostpreußen zur Welt. Margarethe hatte einen älteren Bruder:
- Arthur Lohde (geboren am 16. November 1885 in Gerdauen)
Leben in Gerdauen
Nach bisheriger Quellenlage existierte in Gerdauen (heute Schelesnodoroschny, Russland) zunächst keine fest etablierte jüdische Gemeinde. Erst nach der rechtlichen Gleichstellung der Juden im Zuge der preußischen Reformen zu Beginn des 19. Jahrhunderts, insbesondere nach dem Emanzipationsedikt von 1812, ließen sich erste jüdische Familien dauerhaft in der Stadt nieder.
Die Anzahl der jüdischen Einwohner nahm in den folgenden Jahrzehnten zunächst zu: Im Jahr 1848 wurden 166 jüdische Personen in Gerdauen gezählt. Diese Entwicklung steht im Zusammenhang mit der allgemeinen rechtlichen und wirtschaftlichen Verbesserung der Lebensumstände für Juden in Preußen. Allerdings setzte ab der Mitte des 19. Jahrhunderts eine gegenläufige Tendenz ein. Viele Juden verließen kleinere Orte wie Gerdauen, um in größeren Städten bessere wirtschaftliche Perspektiven zu finden.
Diese Abwanderungsbewegung spiegelt sich auch in den Einwohnerzahlen wider: In den 1890er Jahren lebten nur noch etwa 55 jüdische Personen in Gerdauen. Die kleine Größe der jüdischen Gemeinschaft hatte unmittelbare Auswirkungen auf ihre institutionelle Struktur: Zwar verfügte die Gemeinde über einen eigenen jüdischen Friedhof, jedoch existierte keine eigenständige Synagoge. Stattdessen war ein Betraum in einem privaten Wohngebäude eingerichtet.[2]
Aus dieser lokalen jüdischen Gemeinschaft ging unter anderem Margarethe Lohde hervor, die in Gerdauen aufwuchs und dort die Schule besuchte. Weitere biografische Informationen zu ihr liegen derzeit nur fragmentarisch vor.
Heirat mit Alfred Plessner
Margarethe Lohde heiratete am 30. November 1914 in Berlin den Kaufmann Alfred Plessner (Öffnet in einem neuen Tab).[4] Er war ebenfalls Jude und wurde am 6. Februar 1887 in Coburg geboren. Ihre Schwiegereltern hießen Julius Plessner, welcher in Coburg eine Korb- und Spielwarenfabrik betrieb, und Selma Plessner, geborene Friedenthal, die schon vor der Hochzeit verstorben war. Das frischvermählte Ehepaar hatte zwei Söhne: Horst (Öffnet in einem neuen Tab), geboren am 20. September 1915, und Wolfgang (Öffnet in einem neuen Tab), geboren am 4. Februar 1918.[4]
Wachsender Antisemitismus
Nach ihrer Eheschließung zog Margarethe Plessner mit ihrem Ehemann Alfred Plessner nach Coburg. Die beiden wohnten zunächst in der Rosenauer Straße 18. In Übereinstimmung mit den gesellschaftlichen Normen der bürgerlichen Mittelschicht übernahm Margarethe Plessner die Rolle der Hausfrau, während ihr Ehemann beruflich tätig war.
Im Jahr 1917 trat Alfred Plessner in die Leitung der von seinem Vater gegründeten Korb- und Spielwarenfabrik ein[5], die sich gegenüber der neuen Wohnung der Familie in der Bahnhofstraße 10 befand.[6] Diese Firma bestand bis etwa 1926. Nach der Aufgabe des Unternehmens war Alfred Plessner weiterhin als Kaufmann tätig. Die Familie zog indes in eine Wohnung in der Mohrenstraße 9b.[7]
Die Lebenssituation der jüdischen Bevölkerung Coburgs veränderte sich nach dem Ende des Ersten Weltkriegs spürbar. Wie in vielen anderen deutschen Städten wurden auch in Coburg antisemitische Narrative verstärkt verbreitet. Juden galten in Teilen der Öffentlichkeit fälschlich als mitverantwortlich für die deutsche Niederlage von 1918 sowie für die politische und wirtschaftliche Instabilität der Nachkriegszeit. Ab 1919 verbreiteten völkische und nationalistische Gruppierungen antisemitische Inhalte durch Flugblätter, Zeitungsartikel und öffentliche Veranstaltungen. Diese antisemitische Agitation trug wesentlich zur gesellschaftlichen Radikalisierung bei und schuf ein Klima, das spätere Diskriminierungen und Übergriffe auf Jüdinnen und Juden begünstigte.
Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Coburger Stadtrat im Jahr 1929 – Coburg war damit die erste deutsche Stadt mit einer NSDAP-Mehrheit – nahmen die Repressionen gegen jüdische Bürger deutlich zu. Diese äußerten sich zunächst in Sachbeschädigungen an jüdischem Eigentum sowie in tätlichen Angriffen auf Einzelpersonen. In dieser Phase versuchten sich Betroffene mit juristischen Mitteln zur Wehr zu setzen, etwa durch Anzeigen und Zivilklagen. Der staatliche Schutz blieb jedoch zunehmend aus, und antisemitische Gewalt blieb in den meisten Fällen folgenlos für die Täter.
Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen verließen viele jüdische Familien Coburg. Während die jüdische Gemeinde im Jahr 1925 noch 316 Mitglieder zählte, sank die Zahl bis 1933 auf 233 Personen.[8] Ob und in welchem Umfang die Familie Plessner selbst von direkten antisemitischen Angriffen betroffen war, ist anhand der verfügbaren Quellen nicht eindeutig zu klären. Hinweise auf Übergriffe liegen derzeit nicht vor.
NS-Zeit
Auch nach der nationalsozialistischen Machtübernahme im Januar 1933 war die Familie Plessner in den ersten Jahren nicht unmittelbar von antijüdischer Gewalt betroffen. Wie viele andere jüdische Bürgerinnen und Bürger in Coburg war sie jedoch zunehmend den nationalen Gesetzesverschärfungen ausgesetzt.
Spätestens mit der Einführung der Nürnberger Gesetze im September 1935 wurde die rechtliche Ausgrenzung und gesellschaftliche Diskriminierung gesetzlich verankert. Die Gesetze definierten „jüdisch“ nicht mehr über religiöse Zugehörigkeit, sondern über „rassische“ Abstammungskriterien. Die Plessners fielen unter diese neue Klassifikation und waren fortan systematischem Rechtsabbau ausgesetzt.
Margarethes Ehemann war in dieser Zeit als Handlungsreisender tätig.[9] Die Möglichkeit zur Berufsausübung wurde jedoch nach dem 9./10. November 1938, der sogenannten „Reichspogromnacht“, massiv eingeschränkt. In der Folge des reichsweit organisierten Pogroms, das von staatlichen Stellen geplant und durchgeführt wurde, erließ die Reichsregierung am 12. November 1938 die „Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben“. Diese untersagte jüdischen Personen die Ausübung eines selbstständigen Gewerbes.[10] Auch Alfred Plessner verlor dadurch seine berufliche Grundlage.
Die Pogromnacht hatte in Coburg auch unmittelbare physische und psychische Auswirkungen auf die jüdische Bevölkerung. Nach Zeitzeugenberichten wurden sämtliche Juden, darunter auch die Familie Plessner, verhaftet, durch die Stadt getrieben und auf dem Marktplatz auf den Pranger gestellt. Während die Frauen und Kinder danach nach Hause gehen durften, wurden die Männer, in die alte Angerturnhalle gebracht. Dort sollten 16 von ihnen in das Konzentrationslager Dachau deportiert werden. Aufgrund der Überfüllung des Lagers wurden die Inhaftierten jedoch vorübergehend in das Gefängnis nach Hof an der Saale überstellt.[11] Zu den Inhaftierten gehörte auch Margarethes Sohn Wolfgang Plessner, der etwa zwei Monate im Gefängnis sitzen musste.[12]
Margarethe Plessners ältester Sohn Horst war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr in Deutschland. Er hatte Coburg etwa einen Monat vor den Novemberereignissen verlassen und konnte in die Vereinigten Staaten emigrieren.[13] Sein jüngerer Bruder Walter floh Anfang 1939 nach Guatemala.[14]
Nach den Novemberpogromen verloren auch Margarethe und Alfred Plessner ihre Wohnung in der Mohrenstraße. Sie fanden zunächst Unterkunft im Haus des jüdischen Arztes Dr. Emil Gutmann, ebenfalls in der Mohrenstraße (Nr. 32).[15] Das Gebäude wurde in der Folgezeit zu einem sogenannten „Ghettohaus“ erklärt. Dabei handelte es sich um staatlich zugewiesene Sammelunterkünfte für jüdische Mieter, die unter stark eingeschränkten Lebensverhältnissen dort zusammengelegt wurden. Solche Häuser dienten hauptsächlich der gezielten Ghettoisierung, Überwachung und späteren leichteren Deportation der jüdischen Bevölkerung. Sie waren Ausdruck institutionalisierter Ausgrenzung und ein vorbereitender Schritt zur späteren systematischen Vernichtung
In dieser Phase bemühten sich Alfred und Margarethe Plessner intensiv um eine Ausreise aus Deutschland. Ihre im Ausland lebenden Söhne versuchten, die Eltern durch Bürgschaften und Einreiseformalitäten zu unterstützen. Diese Bemühungen blieben jedoch erfolglos.[16] Dies geschah mutmaßlich aufgrund restriktiver Einreisebestimmungen in den Aufnahmeländern, fehlender Visa und wachsender internationaler Abschottungspolitik gegenüber jüdischen Flüchtlingen.
Deportation und Ermordung
Am 27. November 1941 wurden Margarethe Plessner und ihr Ehemann gemeinsam mit 23 weiteren Juden deportiert oder, wie es in der Tarnsprache der Nationalsozialisten hieß, "evakuiert".[17] Diese Maßnahme war Teil einer reichsweit koordinierten Deportationswelle, die ab Herbst 1941 einsetzte. Sie markierte den Übergang von Diskriminierung und Entrechtung zur systematischen Vernichtung der jüdischen Bevölkerung in Deutschland und den besetzten Gebieten.
Die Deportationen dieser Phase waren kein gesetzlich legitimierter Akt, sondern wurden auf Grundlage interner Befehle und Verwaltungsanweisungen durch das Reichssicherheitshauptamt sowie durch das Reichsverkehrsministerium, das Reichsinnenministerium und die Reichsbahn organisiert. Vorausgegangen war am 23. Oktober 1941 ein Ausreiseverbot für alle Juden aus dem Deutschen Reich – ein administrativer Schritt, der das Ende jeder legalen Auswanderungsmöglichkeit bedeutete. Am 4. November folgte eine interne Anordnung, wonach die Transporte in Lager in den besetzten Ostgebieten durchgeführt werden sollten.[18] Damit begann die systematische Deportation aus deutschen Städten.
Margarethe und Alfred Plessner wurden zunächst nach Nürnberg gebracht und von dort aus mit einem Sammeltransport nach Riga verschleppt. Für die Deportation wurde ihnen ein Betrag von 60 Reichsmark in Rechnung gestellt – eine Maßnahme, die Bestandteil der bürokratisch organisierten Verfolgung war. Die Bedingungen während der mehrtägigen Fahrt waren äußerst menschenunwürdig: Die etwa 1.010 Deportierten wurden in überfüllten, unbeheizten Güterwagen untergebracht, ohne ausreichende Verpflegung oder medizinische Versorgung. Zeitzeugenberichten zufolge erhielten sie auf der gesamten Strecke lediglich zweimal Zugang zu Wasser.[19] Viele erkrankten bereits während des Transports.
Am 2. Dezember 1941 erreichte der Transport das Lager Jungfernhof bei Riga.[20] Das Lager befand sich auf einem ehemaligen landwirtschaftlichen Gut, das die SS notdürftig in ein Internierungslager für aus dem Deutschen Reich deportierte Juden umfunktioniert hatte. Die dortigen Bedingungen waren katastrophal: Die Inhaftierten mussten in ungeheizten Scheunen und Ställen übernachten, oft ohne Betten, Decken oder ausreichende Kleidung. Bis Januar 1942 stieg die Zahl der Gefangenen im Lager auf rund 4.000 Personen. Aufgrund von Seuchenausbrüchen, Unterernährung und Kälte starben im Winter 1941/42 Schätzungen zufolge bis zu 900 Menschen. Ab Januar 1942 begann die SS, gezielt kranke und geschwächte Gefangene zu selektieren, zu erschießen und in Massengräbern zu verscharren. Jungfernhof war damit nicht nur ein Ort systematischer Vernachlässigung und Gewalt, sondern Teil des organisierten Terrors gegen die deportierte jüdische Bevölkerung.[21]
Über den weiteren Verbleib von Margarethe Plessner liegen keine gesicherten Informationen vor. Mit der Ankunft im Lager Jungfernhof verliert sich seine Spur. Aufgrund fehlender Unterlagen ist ein genaues Todesdatum nicht bekannt. Es ist aber davon auszugehen, dass er dort unter den genannten Bedingungen ums Leben kam. Schließlich wurde Margarethe Plessner am 19. Februar 1942 die Staatsbürgerschaft entzogen.[22]
Quellen- und Literaturverzeichnis
[1] Landesarchiv Berlin, Personenstandsregister, Heiratsregister 1874-1936.
[2] Klaus-Dieter Alicke, Gerdauen (Ostpreußen), in: Aus der Geschichte der jüdischen Gemeinden im deutschen Sprachraum (https://www.xn--jdische-gemeinden-22b.de/index.php/gemeinden/e-g/2383-gerdauen-ostpreussen (Öffnet in einem neuen Tab)), aufgerufen am 02.08.2024.
[3] Landesarchiv Berlin, Personenstandsregister, Heiratsregister 1874-1936.
[4] "Coburger Zeitung" vom 15.10.1915 und 17.02.1918.
[5] "Regierungs-Blatt für das Herzogtum Coburg" vom 23.06.1917, S. 425.
[6] Stadtarchiv Coburg, Einwohnerkartei, Plessner, Alfred und Margarethe.
[7] Stadtarchiv Coburg, Einwohnerkartei, Plessner, Alfred und Margarethe; Siehe auch: Adressbuch der Stadt Coburg, Ausgabe 1927, S. 112.
[8] Zusammenfassung bei Hubert Fromm, Die Coburger Juden. Geschichte und Schicksal, Coburg ²2001.
[9] Adressbuch der Stadt Coburg, Ausgabe 1937, S. 132.
[10] RGBl, I 1938, S. 1580.
[11] Fromm: Coburger Juden, S. 94-97.
[12] Gabi Bertram, Die Kinder und Enkel kehren zurück, in: „Coburger Tageblatt“ vom 16. April 2025.
[13] Stadtarchiv Coburg, Einwohnerkartei, Plessner, Horst.
[14] Stadtarchiv Coburg, Einwohnerkartei, Plessner, Walter.
[15] Stadtarchiv Coburg, Einwohnerkartei, Plessner, Alfred und Margarethe
[16] O.A., Marga und Alfred Plessner, in: Geschichte der Coburger Juden. Eine virtuelle Ausstellung (https://coburger-juden.de/marga-alfred-plessner/ (Öffnet in einem neuen Tab)), aufgerufen 02.08.2024.
[17] Fromm, Coburger Juden, S. 130f.
[18] Geheimer Erlass des Reichssicherheitshauptamts vom 23.10.1941: „[Verbot der Auswanderung von Juden]: Die Auswanderung Juden aus Deutschland ist ausnahmslos für die Dauer des Krieges verboten.“ Text bei: Walk, Joseph (Hrsg.): Das Sonderrecht für die Juden im NS-Staat. Eine Sammlung der gesetzlichen Maßnahmen und Richtlinien – Inhalt und Bedeutung, Karlsruhe 1981, S.353. Siehe auch: Schreiben des Reichsministeriums für Finanzen vom 4.11.1941: „Abschiebung von Juden: Juden, die nicht in volkswirtschaftlich wichtigen Betrieben beschäftigt sind, werden in den nächsten Monaten in die Ostgebiete abgeschoben. Das Vermögen der abzuschiebenden Juden wir zugunsten des Deutschen Reichs eingezogen, außer 100 RM und 50 kg Gepäck je Person. […]“. Text bei: Walk, Sonderrecht, S. 354.
[19] Fromm, S. 130f.; Siehe auch: Statistik und Deportation der jüdischen Bevölkerung aus dem Deutschen Reich. Nürnberg – Würzburg nach Riga. Abfahrtsdatum 29.11.41, Deportierte 1010 (https://www.statistik-des-holocaust.de/list_ger_bay_411129.html (Öffnet in einem neuen Tab)), aufgerufen 12.07.2024.
[20] Ekkehard Hübschmann, Die Deportation von Juden aus Franken nach Riga, in: Frankenland. Zeitschrift für Fränkische Landeskunde und Kulturpflege 56 (2004), S. 344.
[21] Andrej Angrick / Peter Klein, Die „Endlösung“ in Riga. Ausbeutung und Vernichtung 1941-1944, Darmstadt 2006, S. 217, 220; Siehe auch: Wolfgang Scheffler, Das Schicksal der in die baltischen Staaten deportierten deutschen, österreichischen und tschechoslowakischen Juden 1941-1945. Ein historischer Überblick, Bd. 1, München 2003, S. 10.
[22] Stadtarchiv Coburg, Einwohnermeldekartei, Plessner, Alfred und Margarethe.
Patenschaft
Die Patenschaft über den Stolperstein von Margarethe Plessner hat Ulla Trier übernommen.
