Geboren
Gestorben
Wohnorte
Letzter Freiwilliger Wohnort
Orte der Verfolgung
Verlegedatum
Biographie
Ursula Bernstein kam am 19. März 1910 in Coburg zur Welt.[1] Ihr Vater, der Kaufmann und Möbelfabrikant Ivan Bernstein (Öffnet in einem neuen Tab), wurde am 10. März 1869 in Hannover (Königreich Preußen), ihre Mutter Elly Bernstein (Öffnet in einem neuen Tab), geborene Saalfeld, am 16. Februar 1882 in Cammin (Königreich Preußen) geboren. Ursula hatte zwei Schwestern:
- Susi Bernstein (Öffnet in einem neuen Tab) (geboren am 22. April 1904 in Braunschweig)
- Lotti Bernstein (Öffnet in einem neuen Tab) (geboren am 10. September 1906 in Coburg)
Sie blieb zeitlebens unverheiratet.
Jugendjahre und Wachsender Antisemitismus
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts schien es, dass die Coburger Juden völlig in der Stadtgesellschaft integriert waren. Antisemitische Äußerungen gab es kaum. Dies änderte sich nach dem Ende des Ersten Weltkrieges fast schlagartig. Viele machten für die Niederlage und das daraus resultierende wirtschaftliche und politische Chaos die Juden verantwortlich. So waren es zunächst Flugblätter, Zeitungsartikel, Plakate und Vorträge, die ab 1919 gegen die vermeintlichen Schuldigen für die Misere hetzten. Zusammen mit dem frühen Aufstieg des Nationalsozialismus in der Vestestadt bildete dies die Basis für die späteren Gewalttaten gegen die jüdische Bevölkerung. In einer ersten Stufe, welche nach der Machtübernahme der Coburger Nationalsozialisten im Jahr 1929 einsetzte, nahmen zunächst die Sachbeschädigungen gegen jüdisches Eigentum und Körperverletzungen gegen einzelne jüdische Bürger massiv zu. Die Juden ihrerseits versuchten sich in dieser Phase mit Anzeigen und Gerichtsprozessen zur Wehr zu setzen. Gebracht hat dies allerdings nichts. Unter dem Eindruck dieser Entwicklung verließen viele Juden die Vestestadt, nachdem bis 1925 ein Anstieg der jüdischen Einwohnerzahlen zu verzeichnen war. Umfasste die jüdische Gemeinde 1925 noch 316 Personen, so sank deren Zahl bis 1933 auf 233 ab.[2]
Ursula Bernstein besuchte während des Ersten Weltkriegs ab 1916 die Schule in Coburg. Seit 1913 lebte sie mit ihrer Familie in der Villa Marienberg 2a.[3] Zu dieser Zeit waren Schülerinnen und Schüler unterschiedlich stark von Antisemitismus betroffen. Die Intensität und Art der Diskriminierung variierten bis 1933 erheblich: Während einige keinerlei antisemitische Erfahrungen in ihrer Schulgemeinschaft machten, litten andere zunehmend unter Diskriminierung, Isolation und Anfeindungen durch Mitschüler oder Lehrer. Dieses zwiespältige Bild wird durch die bisherigen Forschungen von Hubert Fromm anhand einzelner Biografien bestätigt.[4]
In welchem Ausmaß Ursula Bernstein selbst vom aufkommenden Antisemitismus betroffen war, lässt sich aufgrund fehlender schulischer Quellen nicht abschließend beurteilen. Allerdings erlebte sie als Jugendliche und junge Frau die ersten antisemitischen Auswüchse in Coburg hautnah innerhalb ihrer Familie mit. Zu denjenigen, welche die Stadt Coburg aus diesen Gründen verließen, gehörten ihre Schwester Susi und deren Ehemann Hans Nomburg (Öffnet in einem neuen Tab). Hans war 1926 Ziel einer Hetzkampagne der NS-Parteizeitung „Der Weckruf“, die schließlich vor dem Landgericht Coburg verhandelt wurde. Im Jahr 1928 untersagte das Gericht durch eine einstweilige Verfügung die Verbreitung der Behauptungen der Zeitung. Um vermutlich weiteren Hetzkampagnen zu entgehen, verließen die Nomburgs daraufhin Coburg und zogen nach Berlin.[5]
NS-Zeit
Nachdem Adolf Hitler die politische Macht in Deutschland übernommen hatte, kam es ab März 1933 in Coburg zu massiven Gewaltexzessen gegen die jüdische Bevölkerung.[6] Die Familie Bernstein blieb dabei von direkten, Gewalttaten, Schikanen und Repressalien verschont. Stattdessen konzentrierten sich die Nationalsozialisten darauf, die Firma von Ursulas Vater wirtschaftlich zu schwächen und letztlich zu ruinieren. Die allgemeine Lage für Juden in Coburg war jedoch so bedrückend, dass Ursulas Schwester Lotte Anfang November 1933 beschloss, die Stadt zu verlassen. Sie zog – wie zuvor schon ihre ältere Schwester – nach Berlin.[7]
Den zunehmend verschärften antijüdischen Gesetzen konnte sich die Familie Bernstein auf Dauer nicht entziehen. Nach der Einführung der Nürnberger Rassengesetze im Jahr 1935 verschärften sich diese Maßnahmen und erreichten 1938 einen traurigen Höhepunkt. Besonders die Ereignisse der Reichspogromnacht vom 9. November 1938 hatten gravierende Folgen für die ganze Familie.
Am 10. November 1938 wurden Ursula Bernstein und ihre Eltern aus ihrem Haus am Marienberg geholt. Gemeinsam mit anderen jüdischen Bürgern aus Coburg wurden sie durch die Stadt getrieben und auf dem Marktplatz öffentlich gedemütigt. Während Frauen und Kinder später nach Hause zurückkehren durften, brachte man Ivan Bernstein und die anderen jüdischen Männer in die alte Turnhalle am Anger. Ursprünglich war geplant, 16 von ihnen in das Konzentrationslager Dachau zu deportieren. Da dieses jedoch überfüllt war, wurden die Gefangenen stattdessen in das Gefängnis von Hof an der Saale überführt.[8] Ob Ursulas Vater zu den 16 Männern gehörte, ist nicht bekannt.
Ivan Bernstein wurde allerdings gezwungen, eine „Judenvermögensabgabe“ als „Sühneleistung“ zu zahlen. Diese Maßnahme war eine Reaktion auf das Attentat des polnischen Juden Herschel Grynszpan auf den deutschen Diplomaten Ernst von Rath in Paris. Rechtsgrundlage hierfür war die Verordnung über eine „Sühneleistung“ der Juden deutscher Staatsangehörigkeit vom 12. November 1938.[9]
Aufgrund dieser Zwangsabgabe war Ivan Bernstein gezwungen, das Wohnhaus am Marienberg zu verkaufen.[10] Bereits im Dezember 1938 veräußerte er das Haus unter Wert für 26.000 Reichsmark an den Unternehmer Eduard Schmidt („Escora“).[11] Schmidt, der nach den Nürnberger Rassegesetzen als „Mischling ersten Grades“ galt und selbst unter Schikanen des NS-Regimes litt, erlaubte der Familie Bernstein und damit auch Ursula, weiterhin im Haus zu wohnen – ein damals ungewöhnlicher Vorgang.[12] Der Kaufpreis wurde auf ein Sperrkonto eingezahlt, über das nur mit Genehmigung des Oberfinanzpräsidenten verfügt werden durfte.[13]
Zeitgleich mit der „Sühneleistung“ erließ das Reich am 12. November 1938 die „Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben“. Diese untersagte Juden, weiterhin ein Gewerbe zu betreiben. Alle jüdischen Unternehmen mussten daher bis zum 31. Dezember 1938 schließen.[14] Auch Ivan Bernsteins Firma, welche sich von einer Möbelfabrik zu einer Grundstücksverwaltungsgesellschaft gewandelt hatte, wurde auf Basis dieser Verordnung Ende Januar 1939 stillgelegt.[15] Damit war der Familie die wirtschaftliche und finanzielle Existenzgrundlage entzogen.
In den folgenden zwei Jahren entwickelte sich der Antisemitismus im NS-Staat von einer systematischen Diskriminierung hin zu einem umfassenden Programm der gesellschaftlichen Isolierung, wirtschaftlichen Ausbeutung und physischen Vernichtung. Die antisemitischen Gesetze und Maßnahmen legten die Basis für den Holocaust und zeigten eine zunehmende Radikalisierung der NS-Politik. Wohl aufgrund dieser immer deutlicher werdenden radikalen Ausrichtung der Nationalsozialisten kehrte Ursulas Schwester Lotte Mitte Oktober 1940 aus Berlin in ihr Elternhaus zurück und verbrachte die nächsten Monate bei ihrer Familie.[16]
Die beiden Schwestern mussten fortan Zwangsarbeit in der Porzellanfabrik Creidlitz leisten.[17] In diesem Zusammenhang wendete sich Ursula Bernstein am 12. Oktober 1941 an das Coburger Polizeiamt mit der Bitte, mit dem Zug nach Bamberg fahren zu dürfen, um dort einen Friseur aufsuchen können. Ihr und anderen Juden war es zu dem Zeitpunkt nämlich nicht mehr gestattet, die Vestestadt zu verlassen. Auch gab es in Coburg keinen Friseur mehr, der bereit war die wenigen jüdischen Bewohner der Stadt zu bedienen. Das Polizeiamt lehnte das Ansinnen Ursulas ab.[18]
Deportation und Tod
Denn kurz darauf, am 27. November 1941 wurden Ursula Bernstein, ihre Eltern und ihre Schwester zusammen mit 21 weiteren jüdischen Bürgern aus Coburg deportiert oder, wie es in der damaligen Tarnsprache der Nationalsozialisten hieß, "evakuriert".[19] Eine geplante Flucht der Familie in die Vereinigten Staaten kam so nicht mehr zustande.[20] Diese Deportation fand im Rahmen der zweiten Phase des Holocausts statt, die als „Deportations- und Vernichtungsphase“ bezeichnet wird. Diese Phase begann 1941, nachdem die nationalsozialistische Führung die systematische Vernichtung der europäischen Juden beschlossen hatte. Eine gesetzliche Grundlage dafür war das am 23. Oktober 1941 erlassene Ausreiseverbot für Juden aus dem Deutschen Reich. Ergänzt wurde dies durch eine Anordnung vom 4. November 1941, die vorsah, Juden in den folgenden Monaten in die von Deutschland besetzten Ostgebiete abzuschieben.[21]
Ursula Bernstein und ihre Familie wurden über Nürnberg nach Riga transportiert. Für die Deportation stellte man ihm Fahrtkosten in Höhe von 60 Reichsmark in Rechnung. Die Bedingungen während der Fahrt waren unmenschlich: Die Deportierten wurden in überfüllten, unbeheizten Waggons ohne ausreichende Versorgung untergebracht. Während der gesamten Reise erhielten die 1010 Menschen an Bord nur zweimal Wasser.[22] Am 2. Dezember 1941 erreichte der Zug das Lager Jungfernhof bei Riga.[23]
Das Lager befand sich auf einem großen landwirtschaftlichen Anwesen, das jedoch völlig ungeeignet war, Tausende von Menschen unterzubringen. Bis Januar 1942 stieg die Zahl der Gefangenen dort auf etwa 4000 Personen. Sie mussten in Scheunen und Ställen übernachten. Die wenigen Gebäude waren unbeheizt und in einem schlechten baulichen Zustand, was dazu führte, dass viele der Inhaftierten schwer erkrankten und starben. Im Winter 1941/42 kamen in Jungfernhof zwischen 800 und 900 Menschen ums Leben – durch Erfrierungen, Unterernährung oder Seuchen. Eine medizinische Versorgung gab es kaum. Ab Januar 1942 wurden kranke Gefangene erschossen und in Massengräbern verscharrt.[24]
Nach der Ankunft in Jungfernhof verliert sich die Spur von Ursula Bernstein. Wann sie starb, lässt sich anhand fehlender Unterlagen nicht mehr ermitteln. Am 19. März 1942 wurde sie ausgebürgert.[25] Dies geschah schließlich auf Grundlage der Elften Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. November 1941 die festlegte, dass Juden bei der Verlegung ihres gewöhnlichen Aufenthalts ins Ausland die deutsche Staatsangehörigkeit verlieren sollen.
Quellen- und Literaturverzeichnis
[1] "Regierungs-Blatt für das Herzogtum Coburg" vom 02.04.1910, S. 180; Siehe auch: Staatsarchiv Coburg: AG Co. 38852 fol.3.
[2] Zusammenfassung von Hubert Fromm, Die Coburger Juden. Geschichte und Schicksal, Coburg ²2001.
[3] Stadtarchiv Coburg, Einwohnerkartei, Bernstein, Iwan & Elly.
[4] Fromm, Coburger Juden, S. 247 (Beispiel: Esther Hirschfeld (Öffnet in einem neuen Tab)); S. 252f. (Beispiel: Hildegard Reinstein (Öffnet in einem neuen Tab)); S. 266f. (Beispiel: Max G. Löwenherz); S. 287 (Beispiel: Hans Morgenthau (Öffnet in einem neuen Tab)); S. 292 (Beispiel: Gertrude Mayer); S. 307 (Beispiel: Siegbert Kaufmann (Öffnet in einem neuen Tab)).
[5] Fromm, S. 295.
[6] Fromm, Coburger Juden, S. 65.
[7] Stadtarchiv Coburg, Einwohnerkartei, Bernstein, Lotte.
[8] Die Beschreibung dieses Ereignisses bei Fromm, Coburger Juden, S. 95ff.
[9] RGBl. I 1938, S. 1579.
[10] Stadtarchiv Coburg, Einwohnerkartei, Bernstein, Iwan und Elly.
[11] Stadtarchiv Coburg, A 10.316, fol. 122.
[12] Stadtarchiv Coburg, Einwohnerkartei, Bernstein, Iwan und Elly.
[13] Stadtarchiv Coburg, A 10.316, fol. 139.
[14] RGBl. I 1938, S. 1902.
[15] Stadtarchiv Coburg, A 11.291, fol. 25; Siehe auch: Staatsarchiv Nürnberg, Wiedergutmachungsbehörde III a 3994.
[16] Stadtarchiv Coburg, Einwohnerkartei, Bernstein, Lotte,
[17] Stadtarchiv Coburg, A 8521, Ursula Bernstein an das Polizeiamt, Coburg, 12.10.1941.
[18] Ebd.
[19] Fromm, Coburger Juden, S. 130f.
[20] Staatsarchiv Nürnberg, Wiedergutmachungsbehörde 3994, Eidesstattliche Erklärung Lotti Bernstein, 06.05.1946.
[21] Joseph Walk (Hrsg.), Das Sonderrecht für die Juden im NS-Staat, Heidelberg ²1996, S. 353, 355.
[22] Fromm, S. 130f.; Siehe auch: Statistik und Deportation der jüdischen Bevölkerung aus dem Deutschen Reich. Nürnberg – Würzburg nach Riga. Abfahrtsdatum 29.11.41, Deportierte 1010 (https://www.statistik-des-holocaust.de/list_ger_bay_411129.html (Öffnet in einem neuen Tab)), aufgerufen 12.07.2024.
[23] Ekkehard Hübschmann, Die Deportation von Juden aus Franken nach Riga, in: Frankenland. Zeitschrift für Fränkische Landeskunde und Kulturpflege 56 (2004), S. 344.
[24] Andrej Angrick / Peter Klein, Die „Endlösung“ in Riga. Ausbeutung und Vernichtung 1941-1944, Darmstadt 2006, S. 217, 220; Siehe auch: Wolfgang Scheffler, Das Schicksal der in die baltischen Staaten deportierten deutschen, österreichischen und tschechoslowakischen Juden 1941-1945. Ein historischer Überblick, Bd. 1, München 2003, S. 10; Siehe auch: Staatsarchiv Coburg: AG Co. 50455 fol. 5,5v.
[25] Stadtarchiv Coburg, Einwohnerkartei, Bernstein, Iwan & Elly.
Patenschaft
Die Patenschaft über den Stolperstein von Ursula Bernstein hat die Kanzlei Thomas Linse übernommen.
