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Stadt Coburg

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Seit 1556 verbot die Ernestinische Landesordnung Juden den Aufenthalt in Coburg. Ein Umdenken darüber fand im Zeitalter der Aufklärung statt. Doch erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts bemühten sich die ersten Juden um eine Aufnahme in der Vestestadt. 1806 erhielten schließlich die Brüder Joseph und Salomon Simon das Recht, einen Haushalt und ein Gewerbe in Coburg zu gründen. Dabei stellte ihnen der Coburger Herzog Franz Friedrich Anton einen Schutzbrief aus. Dieser Brief garantierte ihnen die Religions-, Gewerbe- und Niederlassungsfreiheit. Im Gegenzug schickten die Brüder Simon ihre Kinder auf öffentliche Schulen, nahmen deutsche Familiennamen an und trugen keine Bärte nach jüdischer Sitte mehr – wie dies auch ausdrücklich von der Obrigkeit verlangt worden ist. Zudem zahlten sie dem Herzog eine jährliche Steuer in Höhe von 300 Gulden.

Das Wohnhaus der Familie Simon in der Herrngasse

Der Zuzug jüdischer Familie war Ausdruck einer kurzen liberalen Phase in Coburg. Bereits 1809 setzten sich antijudaistische Strömungen wieder durch. Besonders der Coburger Magistrat und die Zünfte stemmten sich gegen die Ansiedlung von Juden. Dies führte dazu, dass der Zuzug stark erschwert wurde. Insgesamt durften nur drei jüdische Familien in der Stadt leben. Auch die Zahl der jüdischen Geschäfte und Haushalte blieben auf drei begrenzt. Zudem führte die Landesregierung zwischen 1815 und 1821 Handelsbeschränkungen für jüdische Vieh- und Textilwarenhändler ein. Den in Coburg lebenden Juden wurde seitens der Stadt und der Zünfte der Aufenthalt so unangenehm wie möglich gemacht.  

Ein grundlegender Wandel vollzog sich erst in den 1840er Jahren. Die Handelsbeschränkungen verloren durch die Entstehung eines deutschen Binnenmarkts ab 1837 an Bedeutung. Gesetze, die dieser Entwicklung entgegenstanden, wurden bis 1858 aufgehoben. Auch die strengen Regeln hinsichtlich des Zuzugs und des Aufenthalts in Coburg verloren durch zahlreiche Gesetzeslücken ihre Wirksamkeit. So erfolgten zum Beispiel zeitliche begrenzte Aufenthaltsgenehmigungen oder die Umgehung des Kaufverbots für Grundstücke durch das Einsetzen christlicher Strohmänner. Dabei unterstützte vor allem der Coburger Herzog Ernst I. und seine Regierung die Juden gegenüber dem antijudaistisch eingestellten Stadtregiment. In Anbetracht dieser Entwicklungen gab der Magistrat schließlich bis 1855 seine judenfeindliche Haltung auf.

Die Nikolauskapelle - einst Synagoge

Mit der Einführung der Paulskirchenverfassung 1849 erhielten die Coburger Juden die rechtliche Gleichstellung. Bereits 1850 verlieh die Stadt dem jüdischen Kaufmann Moritz Friedmann das Bürgerrecht. In den folgenden Jahren trieb man unter Herzog Ernst II. von Sachsen-Coburg und Gotha die Aufhebung der antijüdischen Gesetze voran. Den Abschluss markierten dabei die Einführung der Gewerbe- und der Niederlassungsfreiheit von 1863. 

Neben der Durchsetzung der Gewerbe- und Niederlassungsfreiheit sowie der Abschaffung der Zünfte 1859 förderte die ab 1858/59 einsetzende Industrialisierung den Zuzug von Juden nach Coburg. Demgemäß erhöhte sich bis 1869 die Zahl der jüdischen Einwohner auf 68. Innerhalb dieser Gemeinschaft entwickelte sich schon bald der Wunsch nach eigenen religiösen Einrichtungen. So konstituierte sich 1873 eine jüdische Kultusgemeinde. Gleichzeitig wurde ein jüdischer Friedhof auf dem Glockenberg angelegt und die Nikolauskapelle im Süden der Stadt als Synagoge eingerichtet. Die Gemeinde stellte zudem einen Prediger, Religionslehrer und Schächter ein.

Der von den Juden bevorzugte Sektor des Wirtschaftslebens war nach wie vor der Handel. Dort zeichneten sie sich durch innovative Ideen aus. 1875 eröffnete der Kaufmann Sebald Silberstein die erste Zweigniederlassung eines großen Herrenmodegeschäftes in Coburg. 1886 begann mit der Ansiedlung der jüdischen Firma H. & C. Tietz die Ära der Kaufhäuser in der Vestestadt. Ihren Höhepunkt erreichte diese Entwicklung mit dem Bau des Kaufhauses Conitzer 1908. Dieser zeichnete sich durch großstädtische Architektur und moderne technische Einrichtungen wie einem Personenaufzug aus. Ab 1872 erwiesen sich die Juden auch als fortschrittliche Fabrikanten; sie konzentrierten sich dabei vor allem auf die Herstellung von Möbel und Korbwaren.

Ein wichtiges Anliegen war für die Coburger Juden der soziale Aufstieg innerhalb der Gesellschaft. Dies geschah auf mehreren Wegen, beispielsweise durch die Schulbildung. Ab 1877 finden sich zahlreiche jüdische Schüler an den höheren Lehranstalten der Stadt. Viele von ihnen studierten dann Medizin oder Jura und kehrten anschließend wieder in ihre Heimatstadt zurück. So gab es in Coburg zu Beginn des 20. Jahrhunderts drei jüdische Rechtsanwälte und sieben jüdische Ärzte mit eigener Praxis. Des Weiteren erschlossen Arbeit und Fleiß den gesellschaftlichen Aufstieg. Dies zeigt sich an der Biographie des Getreidehändlers Jacob Mayer, der aus einem kleinen Samenhandelsgeschäft ein deutschlandweit agierendes Unternehmen machte. Aufgrund seines Erfolgs erhielt er 1889 als einzige Coburger Jude das Adelsprivileg.

Protokollbuch der Jüdischen Kultusgemeinde

Zudem strebten die Juden etwa ab dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts eine Integration in die städtische Gesellschaft an. Dies führte innerhalb einer oder zwei Generationen zu einer überdurchschnittlichen Verbürgerlichung der Juden. Ausdruck hierfür waren: 1. die Übernahme bürgerlichen Lebensstils, der sich namentlich in den Wohnverhältnissen zeigte, und 2. an der Übernahme bürgerlicher Lebensführung, die sich im politischen und gesellschaftlichen Engagement niederschlug. Viele Juden traten daher für das Gemeinwohl ein, spendeten für Kranke und Arme oder beteiligten sich in verschiedenen politischen Gremien, in Fördervereinen oder Organen der Industrie am öffentlichen Leben.

Am Vorabend des Ersten Weltkrieges waren die inzwischen 313 Coburger Juden in der Stadtgesellschaft integriert und größtenteils sozial akzeptiert. Selbstverständlich zogen auch einige von ihnen nach dem Ausbruch des Krieges 1914 an die Front, um für das deutsche Vaterland zu kämpfen. Sechs von ihnen kehrten nicht mehr nach Hause zurück. An sie wird heute noch auf dem jüdischen Friedhof und im Krieger-Ehrenmal der Stadt Coburg in den Arkaden auf dem Schlossplatz gedacht. Eine bedeutende Funktion nahmen in dieser Zeit auch die jüdischen Viehhändler ein. Ihre Aufgabe war es, die Armee und die Bevölkerung mit ausreichend Fleisch zu versorgen 

Nach dem Ende des Krieges änderte sich die Stimmung gegenüber Juden schlagartig. Viele Coburger gaben ihnen die Schuld an der Niederlage und dem daraus resultierenden wirtschaftlichen und politischen Chaos. Verbreitet wurde dies über Flugblätter, Zeitungsartikel, Plakate und Vorträge, die ab 1919 gegen die vermeintlichen Schuldigen hetzten. Die daraus resultierenden Spannungen drohten erstmals 1922 zu eskalieren. Weil er angeblich linke Gegendemonstranten bezahlt habe, bedrohten SA-Männer während des „III. Deutschen Tages“ den jüdischen Generaldirektor der Fleischwarenfabrik Großmann, Abraham Friedmann (Öffnet in einem neuen Tab), mit dem Tode. Friedmann wurde dadurch zum Hauptfeind für die Coburger NSDAP und ihres Anführers Franz Schwede. Der Konflikt zwischen beiden erreichte 1929 seinen Höhepunkt, als Schwede aus städtischen Diensten entlassen wurde.  

Antisemitisches Plakat auf dem Marktplatz
Vortrag Die semitische Gefahr

Infolgedessen kam es zu vorgezogenen Stadtratswahlen, bei denen die NSDAP die absolute Mehrheit erreichte. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten in der Stadt nahmen die Übergriffe auf Juden und ihr Eigentum massiv zu. Es kam zu Sachbeschädigungen und Körperverletzungen. Daneben erließ der Stadtrat erste schikanöse Beschlüsse gegen die jüdische Bevölkerung. Schon 1929 belasteten sie die jüdischen Kaufhäuser mit einer Warenhaussteuer. 1930 wurde ein Schächtverbot erlassen. Auch wurde damit begonnen, das Landestheater „judenfrei“ zu machen. Schließlich kündigte die Stadt 1932 der jüdischen Kultusgemeinde den Mietvertrag für die Nikolauskapelle. Zwar versuchten die Juden mittels Anzeigen und Klageeinreichungen, ihre Rechte durchzusetzen. Trotz einiger juristischer Siege änderte sich nichts am Gesamterfolg der Nationalsozialisten.

Mit der Machtübernahme Hitlers erreichten die körperlichen Übergriffe eine neue Dimension. Im März 1933 wurden 39 Juden von sogenannten „Notpolizisten“ in „Schutzhaft“ genommen und in das Gebäude der Stadtpolizei an der Rosengasse gebracht. In der dortigen „Prügelstube“ misshandelten SA-Männer die gefangen genommen Juden schwer. Eine juristische Aufarbeitung der Ereignisse erfolgte erst 1951. 

Ziel der Nationalsozialisten war es, Juden aus dem öffentlichen und wirtschaftlichen Leben zu entfernen. Dies begann bereits bei den Kindern, die zunehmend von den öffentlichen Schulen ausgeschlossen wurden. Für sie gab es seit 1934 eine jüdische Privatschule, die der Prediger Hermann Hirsch (Öffnet in einem neuen Tab) betrieb. Im Wirtschaftssektor richtete sich der Hass der NSDAP zunächst gegenüber den jüdischen Kaufhäusern, die boykottiert, geschlossen und bis 1936 aufgelöst wurden. Zudem kamen durch politischen Druck immer weniger „arische“ Kunden in die jüdische Geschäfte, so dass deren Besitzer ihre wirtschaftliche Basis verloren hatten. Sie mussten daraufhin ihr Haus, meist unter Wert, verkaufen. Von der Entwicklung war auch der Viehhandel betroffen, den Juden ab 1935 nicht mehr ausüben durften. 1938 erließ das Reich ein Gewerbeverbot für alle Juden, sodass deren Geschäfte und Firmen bis 1939 aufgelöst werden mussten.

SA marschiert durch Ketschendorfer Straße 1920er Jahre
Karrikatur zur Abschaffung jüdischer Straßennamen in Coburg

Daneben zeigten die von den Nationalsozialisten erlassenen antijüdischen Gesetze mehr und mehr ihre fatale Wirkung. Schon 1933 verloren jüdische Ärzte und Anwälte mit wenigen Ausnahmen ihre Zulassung. Denjenigen, die noch arbeiten durften, wurde endgültig 1938/39 das Recht entzogen, Medizin und Jura zu praktizieren. Ausdruck der weiteren Ausgrenzung waren die Nürnberger Rassegesetze von 1935, die vor allem Beziehungen zwischen Juden und „Ariern“ untersagten. Zwei Coburger Juden, die sich nicht an die Rassegesetze gehalten hatten, wurden 1936 und 1937 zu Zuchthausstrafen und Zwangsarbeit verurteilt. 

Während und nach der Reichspogromnacht von 1938 erlebten die Coburger Juden noch einmal einen großen Gewaltexzess. Dabei wurde ein Mensch getötet und die jüdische Schule von Hermann Hirsch (Öffnet in einem neuen Tab), samt der 1933 eingerichteten Betstube zerstört. Zudem trieb man sämtliche Juden durch die Stadt und stellte sie auf dem Markt an den Pranger. 35 von ihnen wurden danach verhaftet, 16 von ihnen kamen erst nach einigen Wochen wieder frei. Einen Monat zuvor war Siegfried Kohn (Öffnet in einem neuen Tab) als erster Coburger Jude wohl von einem nationalsozialistischen Fanatiker ermordet worden.

Aufgrund des um sich greifenden Antisemitismus verließen nach 1925 viele Juden Coburg. Der Höhepunkt der Fluchtwelle wurde 1933/34 mit 60 Personen erreicht. 1939 lebten noch 65 Juden in der Stadt. Diese verbrachte man in eines der fünf sogenannten Juden- oder Ghettohäuser, wo sie unter lebensunwürdigen Umständen leben mussten. Ab November 1941 erfolgte die Deportation von 36 Coburger Juden in Ghettos oder Konzentrationslager. Von den Opfern überlebten nur zwei den Holocaust. Vier jüdische Frauen blieben wegen ihrer Ehen mit „arischen“ Männern von der Deportation verschont. Im September 1942 war die jüdische Gemeinde Coburgs vernichtet. Eine neue Gemeinde bildete sich danach langfristig nicht mehr.

Nächste Station

1805 durften sich erstmals wieder Juden in Coburg ansiedeln. Die Familie Simon trotzte Schikanen, gründete ein Bank- und Textilgeschäft – doch ihr wirtschaftlicher Aufstieg endete 1891 mit dem Konkurs.

Über den Erinnerungsweg

Der Erinnerungsweg „Jüdisches Leben in Coburg“ erinnert in 14 Stationen an die jüdische Gemeinde Coburgs. Die Stationen erstrecken sich von der Integration in die Coburger Stadtgesellschaft Mitte des 19. Jahrhunderts bis hin zur Vernichtung nach der frühen Machtergreifung der Nationalsozialisten.

Coburgerinnen und Coburger jüdischen Glaubens waren viele Jahrzehnte Teil der Stadtgemeinschaft. Durch den Nationalsozialismus wurden die jüdische Gemeinde und ihre Mitglieder in Coburg ausgelöscht. Sie mussten fliehen oder wurden ermordet. Es liegt in unserer Verantwortung, die Erinnerung an ihr Wirken und ihr Leiden in der Stadt Coburg lebendig zu erhalten.

Der Stadtrat der Stadt Coburg hat daher 2023 beschlossen, mit einem Erinnerungsweg dem jüdischen Leben in Coburg zu gedenken. Der Erinnerungsweg wurde am 31. Juli 2025 feierlich eingeweiht.

Erläuterungen und Hinweise

Bildnachweise

  • Louis Francois Couché
  • Christian Boseckert
  • Christian Boseckert
  • Central Archives for the History of Jewish People, D Co2 5
  • Hans Eckerlein, 1933
  • Coburger Zeitung vom 20.02.1920
  • Initiative Stadtmuseum Coburg - AK-Sammlung Herold
  • Bayerische Ostmark vom 31.12.1938