Geboren
Gestorben
Wohnorte
Letzter Freiwilliger Wohnort
Orte der Verfolgung
Verlegedatum
Biographie
Charlotte Heymann kam am 17. August 1897 in Braunschweig (Herzogtum Braunschweig-Lüneburg) zur Welt.[1] Ihr Vater, der Kaufmann Moritz Heymann, wurde am 4. Oktober 1866 in Steinhart (Königreich Bayern), ihre Mutter Hedwig Nomburg, geborene Baron, am 26. Januar 1875 in Fürstenberg (Königreich Preußen) geboren. Charlotte hatte drei Brüder:
- Gerhard Heymann (geboren zu einem unbekannten Zeitpunkt in Braunschweig)
- Siegfried Heymann (geboren am 6. Februar 1899 in Braunschweig)
- Heinrich Heymann (geboren am 9. Oktober 1909 in Braunschweig)
Jugend
Charlotte Heymann verbrachte ihre Kindheit in Braunschweig, wo ihr Vater ein Geschäft für Kurz-, Weiß- und Wollwaren betrieb.[2] Die jüdische Geschichte der Stadt reicht bis ins 13. Jahrhundert zurück, doch war die jüdische Gemeinde immer wieder Verfolgungen und Einschränkungen ausgesetzt. Eine dauerhafte Ansiedlung war erst ab dem späten 18. Jahrhundert möglich. Eine Synagoge ist seit 1765 nachweisbar, ein jüdischer Friedhof seit 1797.[3]
Ein großer Teil der jüdischen Einwohner war – wie auch Charlottes Vater – im Handel tätig.[4] Die wirtschaftliche Lage jüdischer Kaufleute war jedoch nicht durchweg positiv. Zwar eröffneten Industrialisierung und wirtschaftlicher Aufschwung im Kaiserreich neue Chancen, zugleich wirkten sich auch weiterhin, jedoch jetzt im kleineren Umfang, rechtliche und gesellschaftliche Diskriminierungen aus.
Die jüdische Gemeinde Braunschweigs wuchs zwischen 1880 und 1920 von etwa 500 auf über 700 Personen.[5] Dieses Wachstum war Teil einer größeren Entwicklung: Durch die rechtliche Emanzipation seit dem 19. Jahrhundert und die verbesserten wirtschaftlichen Möglichkeiten infolge der Industrialisierung zogen viele jüdische Familien aus ländlichen Regionen in städtische Zentren. Neben ökonomischen Aspekten spielten dabei auch bessere Bildungsmöglichkeiten und die Hoffnung auf ein sichereres gesellschaftliches Umfeld eine Rolle.
In dieser Zeit besuchte Charlotte Heymann in Braunschweig die Schule. Es ist anzunehmen, dass sie ihre Schulzeit kurz vor oder während des Ersten Weltkriegs beendete, doch genaue Informationen dazu sind nicht überliefert.
Heirat
Am 27. Dezember 1921 heiratete Charlotte in Berlin den Kaufmann Georg Nomburg (Öffnet in einem neuen Tab).[6] Er war ebenfalls Jude und wurde am 6. Oktober 1885 in Mühlatschütz (Königreich Preußen) geboren.[7] Das Ehepaar hatte zwei Söhne: Manfred, geboren am 21. November 1922[8], und Harry, geboren am 17. November 1923.[9] Ihre Schwiegereltern waren der Kaufmann Adolf Nomburg und Rosa Nomburg, geborene Elias. Das junge Ehepaar bezog eine Wohnung in der Villa de Cuvry im Pilgramsroth Nr. 2 in Coburg.[10] Sie übernahm dort die traditionelle Rolle aus Hausfrau und Mutter.
Die Familie zog vor allem aus beruflichen Gründen nach Coburg. Nach dem Ersten Weltkrieg gründete Georg Nomburg dort gemeinsam mit dem Kaufmann Wilhelm Sandler ein Handelsunternehmen für Textilien und Bekleidung. Die Firma konnte relativ schnell einen großen Kundenstamm gewinnen und gehörte daher zu den florierenden Unternehmen in Coburg.[11]
Wachsender Antisemitismus
Allerdings wurde Charlotte Nomburg in der Vestestadt wohl auch erstmals mit dem Antisemitismus konfrontiert. Viele Coburger machten die Juden für die Niederlage im Weltkrieg und dass daraus resultierende wirtschaftliche und politische Chaos verantwortlich. So waren es zunächst Flugblätter, Zeitungsartikel, Plakate und Vorträge, die ab 1919 gegen die vermeintlichen Schuldigen für die Misere hetzten. Zusammen mit dem frühen Aufstieg des Nationalsozialismus in Coburg bildete dies die Basis für die späteren Gewalttaten gegen die jüdische Bevölkerung. In einer ersten Stufe, welche nach der Machtübernahme der Coburger Nationalsozialisten im Jahr 1929 einsetzte, nahmen zunächst die Beschädigungen gegen jüdisches Eigentum und Körperverletzungen gegen einzelne jüdische Bürger massiv zu. Die Juden ihrerseits versuchten sich in dieser Phase mit Anzeigen und Gerichtsprozessen zur Wehr zu setzen. Gebracht hat dies allerdings nichts. Unter dem Eindruck dieser Entwicklung verließen viele Juden die Vestestadt, nachdem bis 1925 ein Anstieg der jüdischen Einwohnerzahlen zu verzeichnen war. Umfasste die jüdische Gemeinde 1925 noch 316 Personen, so sank deren Zahl bis 1933 auf 233 ab.[12]
Charlottes Ehemann war relativ früh dem Antisemitismus ausgesetzt. Die Eröffnung seines Unternehmens erregte schnell den Widerwillen vieler Coburger Geschäftsleute, die in dem Handelsunternehmen eine unerwünschte Konkurrenz sahen.[13] 1921 beantragten er und sein ebenfalls in Coburg lebender Bruder Hans die deutsche Staatsangehörigkeit, doch ihre Anträge stießen auf erheblichen antisemitischen Widerstand. Während Georg den deutschen Pass bereits ein Jahr später erhalten hatte, erhielt Hans Nomburg das Dokument erst nach einem langwierigen Verfahren im Jahr 1926.[14] Dies führte zu verstärkter Hetze in der örtlichen nationalsozialistischen Presse, insbesondere im antisemitischen NS-Blatt „Weckruf“, das eine gezielte Kampagne gegen die Familie startete. Diese Hetze hatte das Ziel, die Nomburgs gesellschaftlich zu isolieren und wirtschaftlich zu schädigen.[15] Angesichts der anhaltenden Diffamierungen klagte die Familie gegen die Verleumdungen. 1928 erließ das Landgericht Coburg eine Einstweilige Verfügung gegen die Hetzartikel im „Weckruf“.[16] Doch dieser juristische Erfolg führte nicht zu einer Verbesserung ihrer Lage – im Gegenteil: Die antisemitische Stimmung in Coburg eskalierte weiter. Kurz nach dem Ende des Rechtsstreits wurde auf das Haus von Charlotte und Georg Nomburg ein Brandanschlag verübt. Zwar wurde niemand verletzt, doch der Anschlag verdeutlichte, dass die Nomburgs in Coburg nicht mehr sicher waren. [17]
Aufgrund der zunehmenden Bedrohung und systematischen Ausgrenzung entschied sich die Familie noch im selben Jahr, Coburg zu verlassen. Sie zogen nach Berlin, wo Georg und Hans Nomburg eine Herrenkleiderfabrik gründeten. Trotz der schwierigen Erfahrungen in Coburg gelang es ihnen, wirtschaftlichen Erfolg zu erzielen.[18] Doch auch in Berlin blieben sie nicht dauerhaft vor antisemitischer Verfolgung geschützt, insbesondere nach der Machtübernahme durch Hitlers 1933.
NS-Zeit
Nach Hitlers „Machtergreifung“ begannen die nationalsozialistischen Repressionen gegen jüdische Bürger unmittelbar. Dennoch blieben Charlotte Nomburg, ihre Familie und das Unternehmen ihres Ehemannes in den ersten Monaten von direkten Maßnahmen verschont. Besonders betroffen von nationalsozialistischen Schikanen war ab 1934 Georg Nomburg, dessen 1922 verliehene deutsche Staatsbürgerschaft nach einem mehrmonatigen Verfahren im Juni 1935 aberkannt wurde – ebenso wie die seiner Frau Charlotte und seiner beiden Söhne.[19] Diese Maßnahme erfolgte im Kontext der Nürnberger Rassegesetze von 1935, welche die rechtliche Stellung von Juden im Deutschen Reich erheblich verschlechterten.
Mit den Nürnberger Gesetzen begann dann eine systematische Entrechtung, die in den folgenden Jahren durch eine Reihe von Verordnungen weiter verschärft wurde. Die wirtschaftliche Existenz jüdischer Unternehmer wurde zunehmend eingeschränkt, bis schließlich nach der Reichspogromnacht am 9. November 1938 die Nationalsozialisten die vollständige Ausschaltung jüdischer Geschäftsleute anordneten. Am 12. November 1938 erließ die Regierung die „Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben“, die jüdischen Bürgern jegliche gewerbliche Tätigkeit untersagte.[20] Dies zwang die Familie Nomburg dazu, ihre gutgehende Kleiderfabrik zum 31. Dezember 1938 zu schließen.[21] Für sie bedeutete die Schließung der Firma den vollständigen wirtschaftlichen Ruin und eine weitere Aberkennung ihrer Rechte.
Gescheiterte Flucht
Die zunehmende Entrechtung, Diskriminierung und Verfolgung der jüdischen Bevölkerung in Deutschland, die bereits mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 begann und sich in den folgenden Jahren stetig verschärfte, führte dazu, dass Charlotte und Georg Nomburg nach Möglichkeiten suchten, das Land zu verlassen. Die Novemberpogrome 1938 stellten dabei eine weitere Eskalation dar, die die Emigration vieler Jüdinnen und Juden zusätzlich dringlich machte. Die Entscheidung zur Flucht war jedoch nicht nur eine Folge der Ereignisse dieser Monate, sondern das Resultat einer jahrelangen Entwicklung.
Den Nomburgs gelang es zunächst, ihre beiden Söhne außer Landes zu bringen. Manfred Nomburg floh 1938 nach Palästina, während Harry Nomburg 1939 mit einem Kindertransport nach England gelangte.[22] Das Ehepaar selbst plante die Flucht nach Chile. Georg Nomburg hatte bereits Visa beschaffen können, doch stellte sich später heraus, dass diese gefälscht waren und von der chilenischen Regierung nicht anerkannt wurden.[23] Wer die Fälschungen vorgenommen hatte und unter welchen Umständen Nomburg die Dokumente erhalten hatte, ist unklar. Aufgrund wachsender bürokratischer Hürden, steigender antisemitischer Restriktionen und der immer geringer werdenden Bereitschaft vieler Länder, jüdische Flüchtlinge aufzunehmen, ergab sich für das Ehepaar keine legale Möglichkeit zur Emigration mehr.
In der Folge mussten sie ihre Wohnung aufgeben und ihr Eigentum zwangsweise veräußern. Diese Enteignung erfolgte im Rahmen der systematischen „Arisierung“ jüdischen Besitzes durch die Nationalsozialisten, bei der jüdische Haushalte gezwungen wurden, ihr Vermögen weit unter Wert zu verkaufen.[24]
Deportation und Ermordung
Am 18. Oktober 1941 wurden Charlotte Nomburg und ihr Ehemann zusammen mit knapp 1100 weiteren Juden aus Berlin deportiert. Es handelte sich dabei um den ersten Deportationszug von der Reichshauptstadt in das Ghetto Litzmannstadt (polnisch: Łódź).[25] Diese Deportation fand im Rahmen der zweiten Phase des Holocausts statt, die als „Deportations- und Vernichtungsphase“ bezeichnet wird. Diese Phase begann 1941, nachdem die nationalsozialistische Führung die systematische Vernichtung der europäischen Juden beschlossen hatte. Eine gesetzliche Grundlage dafür war das am 23. Oktober 1941 erlassene Ausreiseverbot für Juden aus dem Deutschen Reich. Ergänzt wurde dies durch eine Anordnung vom 4. November 1941, die vorsah, Juden in den folgenden Monaten in die von Deutschland besetzten Ostgebiete abzuschieben.[26]
Von Anfang an waren die Lebensbedingungen im Ghetto Litzmannstadt menschenunwürdig: Die Bewohner litten unter extremer Unterernährung, katastrophaler Hygiene und mangelnder medizinischer Versorgung. Viele starben an Krankheiten oder erfroren im Winter.[27] Die Sterblichkeitsrate war extrem hoch. So kamen zwischen 1940 und 1944 über 43.000 Menschen innerhalb des Ghettos ums Leben. Allein im Mai 1941 waren rund 20.000 Menschen an Tuberkulose erkrankt. [28] Diese Zustände waren kein Zufall, sondern Ausdruck der gezielten Vernichtungspolitik durch Hunger und Krankheit.
Charlotte Nomburg und ihr Ehemann überlebten die lebensfeindlichen Bedingungen im Ghetto zunächst. Sie selbst arbeitete dort als Stenotypistin.[29] Am 10. Mai 1942 wurden sie jedoch in das nahegelegene Vernichtungslager Kulmhof (Chelmno) deportiert. Dort wurden sie noch am gleichen Tag in einem Gaswagen ermordet.[30] Kulmhof war das erste Vernichtungslager, das stationäre Gaskammern zur massenhaften Ermordung von Menschen einsetzte. Bis zur Auflösung des Lagers im Jahr 1944 wurden dort mindestens 152.000 Menschen ermordet, darunter zahlreiche aus dem Ghetto Litzmannstadt deportierte Juden.
Quellen- und Literaturverzeichnis
[1] Landesarchiv Berlin, Personenstandsregister Heiratsregister, Urk-Nr. 1553.
[2] Braunschweigisches Adreßbuch für das Jahr 1899, Braunschweig 1899, S. 124.
[3] Klaus-Dieter Alicke, Braunschweig (Niedersachsen), in: Aus der Geschichte der jüdischen Gemeinden im deutschen Sprachraum (https://www.xn--jdische-gemeinden-22b.de/index.php/gemeinden/a-b/462-braunschweig-niedersachsen (Öffnet in einem neuen Tab)), aufgerufen am 28.03.2025.
[4] Ebd.
[5] Zvi Asaria, Die Juden in Niedersachsen. Von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart, Leer 1979, S. 397f.; Siehe auch: Albert Marx, Geschichte der Juden in Niedersachsen, Hannover 1995, S. 67,146.
[6] Landesarchiv Berlin, Personenstandsregister Heiratsregister, Urk-Nr. 1553.
[7] Ebd.
[8] "Coburger Regierungsblatt" vom 06.12.1922, S. 240.
[9] Hubert Fromm, Die Coburger Juden. Geschichte und Schicksal, Coburg ²2001, S. 296.
[10] Einwohnerbuch der Stadt Coburg. Mit Anhang: Einwohnerbuch des Landbezirks, Ausgabe: Januar 1927, Coburg 1927, S. 108.
[11] "Coburger Regierungs-Blatt" vom 15.11.1919, S. 710.
[12] Zusammenfassung bei Fromm, Coburger Juden.
[13] Fromm, Coburger Juden, S. 296.
[14] Ebd.
[15] "Weckruf" Nr.4/1926, Coburg – Die Firma Volksblatt-Nomburg-Schlegelmilch GmbH.
[16] "Weckruf" vom 09.03.1928, Nomburgs Rechtfertigung.
[17] Fromm, Coburger Juden, S. 295.
[18] Fromm, Coburger Juden, S. 296; Siehe auch: Marianne Gaehtgens, Stolpersteine Ludwigkirchstraße 10a, in: Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf (https://www.berlin.de/ba-charlottenburg-wilmersdorf/ueber-den-bezirk/geschichte/stolpersteine/artikel.179926.php (Öffnet in einem neuen Tab)), aufgerufen 14.03.2025
[19] Fromm, Coburger Juden, S. 298.
[20] RGBl, 1938 I, S. 1580.
[21] Gaehtgens, Stolpersteine Ludwigkirchstraße 10a.
[22] Fromm, Coburger Juden, S. 299; Siehe auch: Gaehtgens, Stolpersteine Ludwigkirchstraße 10a.
[23] Ebd.
[24] Gaehtgens, Stolpersteine Ludwigkirchstraße 10a.
[25] Ebd.
[26] Geheimer Erlass des Reichssicherheitshauptamts vom 23.10.1941: „[Verbot der Auswanderung von Juden]: Die Auswanderung Juden aus Deutschland ist ausnahmslos für die Dauer des Krieges verboten.“ Text bei: Walk, Joseph (Hrsg.): Das Sonderrecht für die Juden im NS-Staat. Eine Sammlung der gesetzlichen Maßnahmen und Richtlinien – Inhalt und Bedeutung, Karlsruhe 1981, S.353. Siehe auch: Schreiben des Reichsministeriums für Finanzen vom 4.11.1941: „Abschiebung von Juden: Juden, die nicht in volkswirtschaftlich wichtigen Betrieben beschäftigt sind, werden in den nächsten Monaten in die Ostgebiete abgeschoben. Das Vermögen der abzuschiebenden Juden wir zugunsten des Deutschen Reichs eingezogen, außer 100 RM und 50 kg Gepäck je Person. […]“. Text bei: Walk, Sonderrecht, S. 354.
[27] Bernd Ulrich, „Vor Hunger starben Alte und Junge“ – Vor 70 Jahren wurde das jüdische Ghetto Litzmannstadt abgeriegelt. Kalenderblatt von Deutschlandradio, 30.04.2010, abgerufen am 01.05. 2010.
[28] Sascha Feuchert / Erwin Leibfried / Jörg Riecke (Hrsg.), Die Chronik des Gettos Lodz / Litzmannstadt, (Schriftenreihe zur Lodzer Getto-Chronik), Göttingen 2016, S. 32.
[29] United States Holocaust Memorial Museum; Washington DC; The Elders of the Jews in the Lódz Ghetto, 1939-1944; Aufzeichnungsgruppe: RG-15.083M; Artikelnummer: 4; Archivrolle: 203.
[30] Gaehtgens, Stolpersteine Ludwigkirchstraße 10a.
Patenschaft
Die Patenschaft über den Stolperstein von Charlotte Nomburg hat Gudrun Wurmthaler übernommen.
