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Biographie
Walter Fechheimer kam am 17. Oktober 1911 in Coburg zur Welt.[1] Seine Eltern waren Hugo Fechheimer (Öffnet in einem neuen Tab) und Frieda Fechheimer (Öffnet in einem neuen Tab), geb. Schwarzbauer. Walter hatte einen älteren Bruder:
- Otto (Öffnet in einem neuen Tab)(geboren am 21. März 1908 in Coburg)
Jugendjahre und Wachsender Antisemitismus
Otto Fechheimers Kindheit fiel in die Zeit des Ersten Weltkriegs und der politisch wie wirtschaftlich belasteten Nachkriegsjahre. 1917 wurde er schulpflichtig. Die Familie ist seit 1913 in einer Wohnung in der Raststraße 8 nachweisbar.[2] Der Vater Hugo Fechheimer war Mitinhaber des Kaufhauses Fechheimer.[3] Im Oktober 1924 beging Walter in der Coburger Synagoge seine Bar Mizwa.
Die Jahre nach 1918 waren in Coburg – wie in vielen anderen Regionen – von politischen Konflikten, wirtschaftlichen Krisen und einer Zunahme nationalistischer und antisemitischer Strömungen geprägt. In Teilen der lokalen Presse, in Versammlungen und Flugschriften traten vermehrt Akteure hervor, die an reichsweite antisemitische Deutungsmuster anknüpften und jüdische Einwohner pauschal für Kriegsniederlage, Revolution und ökonomische Probleme verantwortlich machten. Seit den frühen 1920er-Jahren gewannen rechtsradikale und völkisch orientierte Gruppen, darunter auch die NSDAP, an Einfluss im städtischen Raum. Antisemitische Aktionen richteten sich in zunehmendem Maße gegen jüdische Einrichtungen, Geschäfte und Einzelpersonen. Nicht alle Vorfälle sind im Detail dokumentiert, doch zeigen die überlieferten Beispiele, dass Anfeindungen, Boykottaufrufe und Übergriffe in Coburg bereits vor 1933 an Häufigkeit zunahmen.
Die Mitgliederzahl der jüdischen Gemeinde sank zwischen 1925 und 1933 von 316 auf 233 Personen.[4] Dieser Rückgang ist Ergebnis verschiedener Faktoren: beruflicher und sozialer Mobilität, innerjüdischer Wanderungsbewegungen und individueller Lebensentscheidungen, aber auch wachsender Verunsicherung angesichts einer politisch aufgeheizten und zunehmend antisemitisch geprägten Öffentlichkeit.
Für das Kaufhaus Fechheimer lassen sich in den späten 1920er- und frühen 1930er-Jahren wirtschafts- und steuerpolitische Maßnahmen nachweisen, die größere Betriebe besonders trafen. Nach dem kommunalen Wahlerfolg der NSDAP im Jahr 1929 wurden in Coburg unter anderem eine Warenhaussteuer und Abgaben „zum Schutz der kleinen Geschäftsleute“ eingeführt, die vor allem auf umfangreichere Unternehmen zielten und damit auch das Haus Fechheimer belasteten.[5] Solche Regelungen standen im Kontext zeitgenössischer Debatten über Wettbewerb, Mittelstandsschutz und – in Teilen – antisemitisch aufgeladene Kritik an großen, häufig als „jüdisch“ markierten Häusern. Sie richteten sich jedoch nicht ausschließlich gegen einen einzelnen Betrieb.
Parallel dazu bedienten nationalistische und nationalsozialistische Publikationen in Coburg stereotype Feindbilder des „jüdischen Warenhauses“[6] und riefen wiederholt zu Konsumverzicht gegenüber jüdischen Geschäften auf.[7] In einzelnen Fällen, darunter eine Boykottkampagne Anfang der 1930er-Jahre, setzten sich betroffene Geschäftsleute – auch Walters Vater – juristisch zur Wehr. In einem Verfahren vor dem Oberlandesgericht Bamberg wurde eine antisemitische Zeitung zu einer Geldstrafe verurteilt und verpflichtet, bestimmte Boykottaufrufe zu unterlassen.[8] Dieses Urteil verweist darauf, dass vor 1933 rechtliche Handlungsspielräume zur Gegenwehr noch bestanden, auch wenn sie durch den wachsenden politischen Einfluss radikaler Kräfte zunehmend eingeschränkt wurden.
Walter Fechheimer erlebte diese Entwicklungen im Umfeld des elterlichen Geschäfts. Nach Abschluss seiner Schulzeit arbeitete er als Werkführer. Für den Zeitraum 1931/32 ist ein Aufenthalt in Berlin belegt.[9] Die konkreten Bedingungen seiner Tätigkeit – Branche, Stellung im Betrieb, Auswirkungen des anwachsenden Antisemitismus auf seine beruflichen Perspektiven – lassen sich anhand der bisher bekannten Unterlagen nur in Umrissen rekonstruieren.
NS-Zeit
Nach der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 verschärfte sich auch in Coburg die Situation für jüdische Einwohnerinnen und Einwohner sowie für politische Gegner des Regimes. Zeitgenössische Berichte weisen darauf hin, dass es bereits in den ersten Wochen nach der nationalsozialistischen Machtübernahme zu Anfeindungen, Übergriffen und willkürlichen Eingriffen durch lokale NS-Akteure kam.
Am 25. März 1933 wurde Walters Vater, Hugo Fechheimer, von Angehörigen der SA festgenommen, die in Coburg teilweise als sogenannte „Hilfspolizei“ eingesetzt wurden und auf dieser Grundlage polizeiliche Befugnisse beanspruchten, festgenommen.[10] Seine Inhaftierung erfolgte im Rahmen der sogenannten „Schutzhaft“, einem Instrument, das sich auf das Ausnahme- und Notverordnungsregime stützte, ohne richterliche Kontrolle auskam und gezielt gegen politisch und rassistisch definierte Gegner eingesetzt wurde. Während dieser Haft wurde Hugo Fechheimer so schwer misshandelt, dass er in das Coburger Landkrankenhaus eingeliefert werden musste.[11]
Bereits vor der Festnahme war das Kaufhaus Fechheimer Ziel antijüdischer Aktionen. Ein Polizeibericht vermerkt für den 10. März 1933 eine größere Menschenansammlung vor dem Geschäft, bei der die Schließung gefordert wurde.[12] Dieses Ereignis gehört zu den frühen lokalen Formen des wirtschaftlichen und sozialen Drucks auf jüdische Unternehmen, die zeitlich dem reichsweit organisierten Boykottaufruf vom 1. April 1933 vorausgingen.[13] Ob es sich dabei um eine spontan entstandene Versammlung oder um eine gezielt organisierte Aktion handelte, lässt sich auf Basis der vorliegenden Unterlagen nicht eindeutig bestimmen.
Die städtische Polizei griff bei der Versammlung nicht ein. Statt das Geschäft zu schützen, empfahlen Vertreter der Behörde den Inhabern, das Kaufhaus aus „Sicherheitsgründen“ vorübergehend zu schließen.[14] Dieses Verhalten verdeutlicht eine frühe Verschiebung polizeilicher Praxis: Formell bestehende Schutzpflichten wurden zurückgestellt, während durch Unterlassen und „Ratschläge“ faktisch Druck auf jüdische Geschäftsleute ausgeübt wurde. Die Vorgänge in Coburg stehen damit in einer Reihe mit Entwicklungen in anderen Städten, in denen örtliche Polizei- und Verwaltungsstellen bereits 1933 zur Durchsetzung nationalsozialistischer Ausgrenzungspolitik beitrugen. Für Walter Fechheimer bedeuteten die Ereignisse einen tiefen Einschnitt in die wirtschaftliche und persönliche Lebenssituation seiner Familie.
Flucht
Unter dem Eindruck der politischen Repressionen und des zunehmenden öffentlichen Drucks entschloss sich die Familie Fechheimer noch im März 1933 zur dauerhaften Schließung ihres Kaufhauses. Nach seiner Entlassung verließ Walter, zusammen mit seinen Eltern, Coburg. Sie gingen nach Amsterdam,[15] wo bereits seit 1919 Curt Blüth, ein Cousin Walters, lebte.[16] Die Ausreise erfolgte in einer frühen Phase der Emigration aus Deutschland, in der Juden formal noch legale Wege ins Ausland finden konnten, zugleich aber bereits mit erheblichen Vermögenseinbußen, restriktiven Devisenbestimmungen und dem Bruch gewachsener sozialer und beruflicher Netzwerke rechnen mussten. Inwieweit die Familie ihren Aufenthalt zunächst als vorläufiges Exil oder als dauerhafte Auswanderung verstand, lässt sich aus den vorliegenden Quellen nicht erschließen.
In Amsterdam arbeitete Walter Fechheimer zunächst als Monteur und Installateur.[17] 1939 emigrierten Hugo und Frieda Fechheimer nach Brasilien, wo bereits ihr Sohn Otto lebte.[18] Walter blieb hingegen in Amsterdam. Die Gründe für diese Entscheidung sind quellenmäßig überliefert. Um 1940 heiratete er dort Fanny Horowitz (geb. 17. Dezember 1910 in Worms), die aus einer jüdischen Kaufmannsfamilie stammte und vor der nationalsozialistischen Verfolgung in die Niederlande geflohen war.[19] Sie fand Unterkunft und Arbeit als Haushaltshilfe bei der Familie Badmann, die sie nach kurzer Zeit faktisch als Pflegetochter behandelte.[20] Ob dieser Status rechtlich formalisiert wurde, ist nicht belegt. Nach einer Registrierung vom Februar 1941 wohnten Walter und Fanny Fechheimer im selben Haus wie die Familie Badmann, was auf ein enges soziales Unterstützungsnetzwerk im Amsterdamer Exilumfeld hinweist.[21]
Deporation und Tod
Im Mai 1940 erlebten Walter und Fanny in Amsterdam die Besetzung der Niederlande durch die deutsche Wehrmacht. In den folgenden Monaten etablierten die deutschen Behörden unter Reichskommissar Arthur Seyß-Inquart ein System von Verordnungen, das die jüdische Bevölkerung schrittweise aus dem öffentlichen Leben ausschloss und unter vollständige staatliche Kontrolle stellte. Dazu gehörten Registrierungspflichten, Berufsverbote, der Ausschluss aus bestimmten Wohngebieten und die Konzentration jüdischer Einwohner in klar erfassbaren Strukturen.[22]
Auf dieser Grundlage setzte Anfang 1941 eine umfassende Erfassung der in den Niederlanden lebenden Juden ein. Die Registrierung, die organisatorisch auch über jüdische Gemeinden und die neu geschaffene Joodsche Raad lief, diente der administrativen Kontrolle und bildete eine zentrale Voraussetzung für spätere Deportationsmaßnahmen.[23] Im Mai 1941 kündigte Seyß-Inquart öffentlich an, die „Judenfrage“ in den Niederlanden „zu lösen“.[24] Die darauf folgenden Schritte zielten faktisch auf die vollständige Entrechtung, Konzentration und Deportation der jüdischen Bevölkerung.
Ab dem Sommer 1942 begannen von Westerbork, dem zentralen Durchgangslager, regelmäßige Transporte in die Vernichtungslager im besetzten Osten.[25] Die Deportationen wurden vielfach als „Arbeitseinsatz im Osten“ bezeichnet oder verschleiert, gleichzeitig verdichteten sich bei vielen Betroffenen die Hinweise auf die tödliche Dimension dieser Transporte.
Walter und Fanny Fechheimer wurden am 15. Juli 1942 im Durchgangslager Westerbork interniert.[26] Zu welchem genauen Zeitpunkt sie von dort nach Auschwitz deportiert wurden, lässt sich aus den vorliegenden Unterlagen nur begrenzt rekonstruieren. Fest steht, dass Walter Fechheimer in Auschwitz registriert wurde. aus der Häftlingsnummer (20417/1942)[27] und den bekannten Transportdaten lässt sich seine Ankunft in einen Zeitraum des Jahres 1942 einordnen. Walter Fechheimer starb am 13. August 1942 im Alter von 30 Jahren in Auschwitz.[28] Die Todesumstände sind nicht im Detail dokumentiert. Angesichts der Funktion des Lagers ist davon auszugehen, dass seine Ermordung im Kontext der systematischen Vernichtungs- und Ausbeutungspraxis stand. Fanny Fechheimer wurde ebenfalls in Auschwitz ermordet. Ihr Tod ist für den 30. September 1942 belegt.[29]
Zum Vermögen Walters in Deutschland ist überliefert, dass ein bei der Sparkasse Coburg geführtes Guthaben in Höhe von knapp 100 Reichsmark 1944 zugunsten des Deutschen Reiches eingezogen wurde.[30] Dieser Vorgang steht exemplarisch für die systematische Aneignung jüdischen Eigentums im Zuge der NS-Verfolgungs- und Vernichtungspolitik.
Quellen- und Literaturverzeichnis
[1] Stadtarchiv Coburg, Einwohnerkartei, Fechheimer, Walter.
[2] Stadtarchiv Coburg, Einwohnerkartei, Fechheimer, Hugo und Frieda.
[3] Coburger Zeitung vom 21.10.1905.
[4] Vgl. Eva Karl, Coburg voran!“ Mechanismen der Macht – Herrschen und Leben in der „ersten nationalsozialistischen Stadt Deutschlands“, Regensburg 2025, S. 39-172.
[5] Hubert Fromm, Die Coburger Juden. Geschichte und Schicksal, Coburg ²2001, S. 111.
[6] Zitiert nach Fromm, Coburger Juden, S. 108; Boseckert, Kauf- und Warenhäuser, S. 63.
[7] Joachim Albrecht, Die Avantgarde des Dritten Reiches – Die Coburger NSDAP während der Weimarer Republik 1922–1933, Frankfurt am Main 2005, S. 143f.
[8] Fromm, Coburger Juden, S. 52ff.
[9] Stadtarchiv Coburg, Einwohnerkartei, Fechheimer, Walter.
[10] Staatsarchiv Coburg, StAnw 906, Bl. 57; Stadtarchiv Coburg A 8521,2, fol. 111.
[11] Staatsarchiv Coburg, StAnw 906, Bl. 57, 122.
[12] Karl, Coburg voran!, S. 572f.
[13] Coburger National-Zeitung vom 31.03.1933.
[14] Karl, Coburg voran! S. 572f.
[15] Karl, Coburg voran!, S. 549f. Vgl. auch: Testimony of Curt Blueth, born in Coburg, Germany, regarding his experiences in Coburg and the Netherlands. Yad Vashem 0.3/941; Vgl. auch: Hubert Fromm, Der Antisemitismus von 1919 bis 1942, in: Hubert Fromm (Hrsg.): Die Coburger Juden. Geduldet – Geächtet – Vernichtet, Coburg ³2012, S.1-138, S.114.
[16] Amsterdam City Archives à Amsterdam, Inscription des étrangers Part: 946, Période: 1922, Amsterdam.
[17] Walter Fechheimer, in: Digitaal Joods Monument (https://www.joodsmonument.nl/en/page/182652/walter-fechheimer (Öffnet in einem neuen Tab)), aufgerufen am 26.09.2025.
[18] Rio de Janeiro Brazil, Immigration Cards, 1900-1965. FamilySearch, Salt Lake City, Utah, 2013. Index entries derived from digital copies of original and compiled records. Walter Fechheimer blieb in Amsterdam.
[19] Das Jahr der Flucht variiert in der Forschung. Laut den Angaben des Stadtarchivs Worms auf der Internetseite „Die Wormser Juden 1933-45“ (http://www.wormserjuden.de/Biographien/Horowitz.html (Öffnet in einem neuen Tab)), flüchtete Fanny Fechheimer 1936 nach Amsterdam. Anderen Angaben zufolge (https://www.joodsmonument.nl/nl/page/380071/fanny-fechheimer-horowitz) kam Fanny Fechheimer erst nach der Reichspogromnacht 1938 in den Niederlanden an.
[20] Fanny Fechheimer-Horowitz, in: Digitaal Joods Monument (https://www.joodsmonument.nl/nl/page/380071/fanny-fechheimer-horowitz (Öffnet in einem neuen Tab)), aufgerufen am 26.09.2025.
[21] Parnassusweg 24 III, Amsterdam (https://www.joodsmonument.nl/en/page/85470/parnassusweg-24-iii-amsterdam (Öffnet in einem neuen Tab)), aufgerufen 26.09.2025.
[22] Zusammenfassend bei Katja Happe, Viele falsche Hoffnungen. Judenverfolgung in den Niederlanden 1940–1945, Paderborn 2017, S. 46-99.
[23] Jacques Presser, Ondergang: De vervolging en verdelging van het Nederlandse Jodendom 1940–1945. Staatsuitgeverij/Martinus Nijhoff, Den Haag 1965, S. 64.
[24] Gerard Aalders, Roof. De ontvreemding van Joods bezit tijdens de Tweede Wereldoorlog. Sdu, 1999, S. 331.
[25] Happe, S. 102.
[26] Kartei des Judenrats von Amsterdam, v. Fechheimer, Walter in: Arolsen Archives (https://collections.arolsen-archives.org/de/document/130285272 (Öffnet in einem neuen Tab)), aufgerufen am 26.09.2025; Kartei des Judenrats von Amsterdam v. Horowitz, geb. Fechheimer, Fanny (https://collections.arolsen-archives.org/de/document/130285271 (Öffnet in einem neuen Tab)), aufgerufen am 26.09.2025.
[27] Staatliche Museen Auschwitz-Birkenau (Hrsg.), Sterbebücher von Auschwitz. Fragmente, Namensverzeichnis A-L, München [u.a.] 1995, S. 277.
[28] Ebd.
[29] Inhaftierungsdokumente, Sammel- und Durchgangslager Westerbork, in arolsen-archives (https://collections.arolsen-archives.org/de/document/5148555 (Öffnet in einem neuen Tab)), aufgerufen am 26.09.2025.
[30] Staatsarchiv Coburg, Finanzamt 248, Fechheimer, Walter.
Patenschaft
Die Patenschaft über den Stolperstein von Walter Fechheimer haben Claudio Fechheimer, Daniela Fechheimer Goldin und Lilian Thomer übernommen.
