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Biographie
Jugendjahre
Max Hecht lebte bis zum 12. Lebensjahr in Nürnberg. Er wuchs in einer prosperierenden jüdischen Gemeinde hinein. Grund für diese Entwicklung waren überregionale Faktoren: Durch rechtliche Gleichstellung und neue wirtschaftliche Möglichkeiten infolge der Industrialisierung zogen viele jüdische Familien aus ländlichen Gebieten in größere Städte. Nürnberg war dabei für viele Juden aus Mittelfranken ein attraktives Ziel, da der Ort bessere Arbeitsmöglichkeiten und die Chance eines sozialen Aufstiegs bot. Dies spiegelt sich auch in der Zahl der in Nürnberg ansässigen Juden wieder. Lebten im Jahr 1900 knapp 6000 Juden in der Stadt so stieg deren Zahl bis 1910 auf über 7800 Personen an. Im Jahr 1930 erreichte diese Entwicklung mit über 10.000 jüdischen Einwohnern in Nürnberg ihren Höhepunkt.[2] Innerhalb der Stadt nahmen die Juden eine starke wirtschaftliche Stellung ein. Sie stellten einen hohen Anteil bei den Kaufleuten und Unternehmern sowie bei den Bankiers und Akademikern Nürnbergs. Fast in kompletter jüdischer Hand war der Hopfenhandel.[3] Max Hechts Vater betrieb damals in der Nähe des Hauptbahnhofs ein Geschäft für landwirtschaftliche Maschinen sowie für Wasch- und Mangelmaschinen.[4]
Neben den wirtschaftlichen Erfolgen und dem sozialen Aufstieg hatten die Nürnberger Juden aber auch schon früh mit antisemitischen Strömungen zu kämpfen. Schon 1893 konstituierte sich ein Antisemitischer Verein. Derartige Strömungen verbreiteten sich im Laufe der kommenden Jahrzehnte kontinuierlich und führten dazu, dass Nürnberg nach dem Ersten Weltkrieg eine Hochburg des rassisch-völkischen Antisemitismus wurde.[5] Inwieweit Max Hecht vom Antisemitismus betroffen war, lässt sich heute aufgrund der schwierigen Quellenlage nicht mehr sagen. Er besuchte ab 1908 die Schule in Nürnberg, bis seine Familie nach Coburg verzog.
Umzug nach Coburg, Erster Weltkrieg und Wachsender Antisemitismus
Dort kamen die Hechts im September 1914 an.[6] In Coburg eröffnete Sally Hecht ein Tabak- und Spirituosengroßhandel.[7] Doch bereits im gleichen Monat wurde er zum Kriegsdienst in der bayerischen Armee eingezogen und kehrte erst im April 1918 nach Coburg zurück.[8] Wer das Geschäft in seiner Abwesenheit führte, ist nicht eindeutig belegt. Es ist aber anzunehmen, dass Mutter Rosie diese Aufgabe übernahm und Max sie dabei unterstützen musste. Eine solche Arbeitsteilung finden sich in dieser Zeit auch bei anderen Familien, die seinerzeit Ladengeschäfte führten.
Max Hecht war aber in erster Linie immer noch Schüler. Er besuchte in dieser Zeit die Oberrealschule Ernestinum und erwarb das Einjährig-Freiwilligen-Zeugnis, das ihm später eine verkürzte Militärdienstzeit ermöglicht hätte.[9] Anschließend begann er eine kaufmännische Lehre im Familienbetrieb und wurde später Prokurist der Firma.[10] Im Jahr 1915 erlebte er zudem in der Coburger Synagoge seine Bar Mitzwa.
In der Folge erlebte Max Hecht, wie sich nach dem Ende des Ersten Weltkrieges das Leben für Juden in Coburg fast schlagartig veränderte. Viele Coburger machten sie für die Niederlage und das daraus resultierende wirtschaftliche und politische Chaos verantwortlich. So waren es zunächst Flugblätter, Zeitungsartikel, Plakate und Vorträge, die ab 1919 gegen die vermeintlichen Schuldigen für die Misere hetzten. Zusammen mit dem frühen Aufstieg des Nationalsozialismus in der Vestestadt bildete dies die Basis für die späteren Gewalttaten gegen die jüdische Bevölkerung. In einer ersten Stufe, welche nach der Machtübernahme der Coburger Nationalsozialisten im Jahr 1929 einsetzte, nahmen zunächst die Beschädigungen gegen jüdisches Eigentum und Körperverletzungen gegen einzelne jüdische Bürger massiv zu. Die Juden ihrerseits versuchten sich in dieser Phase mit Anzeigen und Gerichtsprozessen zur Wehr zu setzen. Gebracht hat dies allerdings nichts. Unter dem Eindruck dieser Entwicklung verließen viele Juden die Vestestadt, nachdem bis 1925 ein Anstieg der jüdischen Einwohnerzahlen zu verzeichnen war. Umfasste die jüdische Gemeinde 1925 noch 316 Personen, so sank deren Zahl bis 1933 auf 233 ab.[11] Die Familie Hecht blieb während dieser Zeit von antisemitischen Gewalttaten und Sachbeschädigungen weitgehend verschont.
NS-Zeit
Nach der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler und der darauffolgenden schrittweisen Ausschaltung politischer Gegner im Zuge der nationalsozialistischen Gleichschaltung verschärfte sich die Lage für die Familie Hecht dramatisch. Im März 1933 wurde Max Hecht von SA-Männern, die sich selbst als „Not-Polizisten“ bezeichneten und als Unterstützung für die reguläre Stadtpolizei eingesetzt worden waren, in sogenannte Schutzhaft genommen. Diese Haft diente nicht dem Schutz, sondern war ein willkürliches und repressives Instrument zur Verfolgung von Juden und politischen Gegnern, ohne jede rechtliche Grundlage. Sie bildete die Grundlage für die systematische Verfolgung im nationalsozialistischen Terrorregime, die später in der Errichtung von Konzentrationslagern und der industrialisierten Vernichtung gipfelte. Besonders gefährdet waren Juden, die öffentlich bekannt, wirtschaftlich erfolgreich oder gesellschaftlich engagiert waren. Zu dieser Gruppe gehörte auch Max Hecht. Er wurde in die berüchtigte „Prügelstube“ im Gebäude der Stadtpolizei in der Rosengasse gebracht. Diese Einrichtung diente dazu, politische Gegner und jüdische Bürger gezielt einzuschüchtern und zu misshandeln. Im Rahmen des sogenannten „Prügelstubenprozesses“ im Jahr 1951 berichtete eine Zeugin über das Schicksal Max Hechts. Sie schilderte, wie er geschlagen wurde und wie einer seiner Peiniger während der Misshandlung ausrief: „Seht nur, wie der Hecht schnalzt“.[12]
Parallel zu dieser Gewalt riefen die Nationalsozialisten zum Boykott jüdischer Geschäfte auf. Das Tabakwarengeschäft der Familie Hecht war von der reichsweiten Boykottaktion am 1. April 1933 betroffen, die von der NSDAP organisiert wurde, um jüdische Geschäftsinhaber wirtschaftlich zu ruinieren.[13] Infolgedessen gingen die Umsätze des Geschäfts stark zurück. Während das Betriebsvermögen am 1. Januar 1933 noch knapp über 18.000 Reichsmark betragen hatte, sank es bis zum 31. Dezember 1936 auf etwa 6.700 Reichsmark.[14]
Angesichts dieser wirtschaftlichen und politischen Bedrohung sah sich die Familie gezwungen, ihr Geschäft Anfang 1937 zu verkaufen. Der Käufer, der „arische“ Unternehmer Erwin Derks, übernahm das Geschäft zum 1. März 1937. Der offizielle Kaufpreis betrug 1.200 Reichsmark, ein Betrag, der weit unter dem tatsächlichen Wert des Geschäfts lag.[15] Wie bei vielen sogenannten „Arisierungen“ wurde der Verkauf unter Druck vollzogen und entsprach nicht den Bedingungen eines freien Marktes. Max Hecht arbeitete nach der Übernahme noch drei Monate im Tabakgeschäft weiter – eine Praxis, die in vielen Fällen dazu diente, den Übergang zu erleichtern oder eine formale Abwicklung des Verkaufs vorzutäuschen, bevor jüdische Arbeitnehmer vollständig verdrängt wurden.[16]
Flucht
Die Familie Hecht war auch den anderen antijüdischen Gesetzen immer stärker ausgeliefert. Nach der Einführung der Nürnberger Rassengesetze im Jahr 1935 wurden die Maßnahmen weiter verschärft, was das Leben der jüdischen Bevölkerung in Deutschland immer unerträglicher machte.
Max Hecht erkannte die wachsende Bedrohung und bemühte sich um eine Möglichkeit zur Flucht. Im Oktober 1937 meldete er sich in Coburg ab und konnte mit den erforderlichen Ausreisepapieren Deutschland verlassen. Seine Route führte ihn über den französischen Hafen Le Havre per Schiff nach New York. Da eine dauerhafte Aufnahme in den USA aufgrund der restriktiven Einwanderungsbestimmungen schwierig war, reiste er zunächst weiter nach Kolumbien, das ihm ein befristetes Visum gewährte.[17]
Die politischen Unsicherheiten und begrenzten Perspektiven in dem südamerikanischen Land veranlassten ihn jedoch, sich um eine Einreise und einen dauerhaften Aufenthalt in die USA zu bemühen. Mithilfe seines Cousins Sally Stern, der bereits in New York lebte, konnte er schließlich über Havanna (Kuba) am 17. Januar 1938 in Miami (Florida) einreisen. Von dort aus begab er sich nach New York zu seinem Vetter, wo er sich eine neue Existenz aufbaute.[18]
Die Tatsache, dass Verwandte in den USA lebten, stellte seinerzeit einen großen Vorteil für Juden dar, die vor den Nationalsozialisten fliehen wollten. Sie erleichterte die Überwindung bürokratischer Hürden und der strengen Quotenregelungen, welche durch die US-Regierung erlassen wurden. Einwanderungsvisa vergaben die Behörden nur, wenn die Antragsteller nachweisen konnten, dass sie keine finanzielle Belastung für die Vereinigten Staaten darstellen würden. Verwandte in den USA konnten sogenannte "Affidavits of Support" beantragen, in denen sie garantierten, für die finanziellen Bedürfnisse der Einwanderer aufzukommen. Dies war ein entscheidender Nachweis, den viele ohne familiäre Kontakte in den USA nicht erbringen konnten. Verwandte halfen auch, die Chancen auf einen Platz im Quotenverfahren zu erhöhen, indem sie bei der Beschaffung von Dokumenten oder persönlichen Kontakten unterstützten. Im Fall von Max Hecht ermöglichten wohl die bestehenden verwandtschaftlichen Beziehungen die Ausreise.
Leben in den Vereinigten Staaten und Israel
Die US-Volkszählung von 1940 gibt Hinweise auf die Lebensverhältnisse von Max Hecht in diesem Jahr. Zu diesem Zeitpunkt wohnte er in New York in einer Wohnung mit mehreren weiteren Personen, darunter die Familie seines Cousins Sally sowie Horst Plessner (Öffnet in einem neuen Tab), einem ebenfalls aus Coburg geflohenen Juden. Insgesamt lebten dort sieben Personen, was auf eine beengte Wohnsituation hindeutet.[19] Dies entsprach den Bedingungen vieler jüdischer Migranten aus Europa, die in den 1930er Jahren in die USA eingewandert waren. Aus der gleichen Quelle geht hervor, das Max Hecht als Elektriker in einem Hausverwaltungsunternehmen arbeitete.[20] Im Vergleich zur Durchschnittsbevölkerung in den USA befand er sich in einer unterdurchschnittlichen wirtschaftlichen Lage. Zu diesem Zeitpunkt hatten viele amerikanische Familien, besonders solche mit stabilen Arbeitsplätzen und Wohlstand, bereits eine höhere Lebensqualität erreicht als zum Beispiel Migrantenfamilien, die aus Europa kamen.
Im Februar 1942 wurde Hecht für den Militärdienst gemustert[21] und trat Ende November desselben Jahres in die US-Armee ein.[22] Seine genauen Aufgaben während des Militärdienstes sind nicht dokumentiert.
Mit den Jahren verbesserten sich Hechts Lebensverhältnisse. Er gründete in New York eine Drahtfabrik[23] und erhielt im August 1943 die amerikanische Staatsbürgerschaft.[24] 1957 zog er nach Miami, Florida[25], wo er im Februar desselben Jahres Kate E. Hecht heiratete, die am 6. Februar 1904 geboren wurde.[26] Die Ehe blieb kinderlos.
Max und Kate Hecht engagierten sich für den Jewish National Fund (JNF), eine 1901 gegründete Organisation, die Land in Palästina für jüdische Siedlungsprojekte erwarb.[27] Sie unterstützten insbesondere den Moschaw Beit Gamliel in Zentralisrael und besuchten die Siedlung mindestens zweimal, 1962 und 1964.[28] Später siedelten sie nach Israel über. Max Hecht verstarb dort im März 1979 im Alter von 76 Jahren.[29]
Quellen- und Literaturverzeichnis
[1] Stadtarchiv Coburg, Einwohnerkartei, Hecht, Max.
[2] Arnd Müller, Geschichte der Juden in Nürnberg 1146 – 1945 (Beiträge zur Geschichte und Kultur der Stadt Nürnberg 12), Nürnberg 1968, S. 170.
[3] Klaus-Dieter Alicke, Nürnberg (Mittelfranken/Bayern), in: Aus der Geschichte der jüdischen Gemeinden im deutschen Sprachraum (https://www.xn--jdische-gemeinden-22b.de/index.php/gemeinden/m-o/1474-nuernberg-mittelfranken-bayern (Öffnet in einem neuen Tab)), aufgerufen 20.02.2025.
[4] Adressbuch aller Länder der Erde, der Kaufleute, Fabrikanten, Gewerbetreibenden, Gutsbesitzer etc., Bd. 1 Königreich Bayern II. Teil, Nürnberg 1909, S. 688c, 790c.
[5] Alicke, Nürnberg.
[6] Stadtarchiv Coburg, Einwohnerkartei, Hecht, Sally & Rosie.
[7] Einwohnerbuch der Stadt Coburg mit Anhang: Einwohnerbuch des Landbezirks. Ausgabe Januar 1927, Coburg 1927, S. 72.
[8] Bayerisches Hauptstaatsarchiv München, Abteilung IV Kriegsarchiv. Kriegsstammrollen, 1914-1918, Bd. 9666, Kriegsstammrolle: Bd.11.
[9] National Archives at Washington, DC, Seventeenth Census of the United States, 1950, Gebiet der Volkszählung: New York, New York, New York, Rolle 3571, S. 71, Zählungsdistrikt: 31-2275.
[10] Eva Karl, „Coburg voran!“ Mechanismen der Macht – Herrschen und Leben in der „ersten nationalsozialistischen Stadt Deutschlands, Regensburg 2025, S. 604.
[11] Zusammenfassung bei Hubert Fromm, Die Coburger Juden. Geschichte und Schicksal, Coburg ²2001.
[12] Fromm, Coburger Juden, S. 66.
[13] "Coburger National-Zeitung" vom 31.03.1933.
[14] Staatsarchiv Coburg, Finanzamt Coburg, Altbestände 233, Betriebsprüfung vom 5./6.1.1937.
[15] Karl, "Coburg voran!", S. 605.
[16] Ebd.
[17] Stadtarchiv Coburg, Einwohnerkartei, Hecht, Max; The National Archives in Washington, DC, Passenger and Crew Lists of Vessels Arriving at New York, New York, 1897-1957; Mikrofilm-Seriennummer oder NAID: T715, Titel der Aufzeichnungsgruppe (RG, Record Group): Records of the Immigration and Naturalization Service, 1787-2004; RG: 85.
[18] The National Archives at Philadelphia, NAI-Titel: Declarations of Intention For Citizenship, 1/19/1842 - 10/29/1959, NAI-Nummer: 4713410, Titel des Aufzeichnungssatzes: Records of District Courts of the United States, 1685-2009; Nummer des Aufzeichnungssatzes: 21; The National Archives At Washington, D.C., Passenger Lists of Vessels Arriving At Miami, Florida; NAI-Nummer: 2788508, Titel des Aufzeichnungssatzes: Records of the Immigration and Naturalization Service, 1787 – 2004, Nummer des Aufzeichnungssatzes: 85.
[19] United States of America, Bureau of the Census. Sixteenth Census of the United States, 1940. Washington, D.C.: National Archives and Records Administration, 1940. T627, 4,643 rolls.
[20] Ebd.; National Archives at St. Louis, Wwii Draft Registration Cards For New York City, 10/16/1940 - 03/31/1947; Aufzeichnungsgruppe: Records of the Selective Service System, 147.
[21] National Archives at St. Louis, Wwii Draft Registration Cards For New York City, 10/16/1940 - 03/31/1947; Aufzeichnungsgruppe: Records of the Selective Service System, 147.
[22] National Archives at College Park, Electronic Army Serial Number Merged File, 1938-1946; NAID: 1263923; Titel des Aufzeichnungssatzes: Records of the National Archives and Records Administration, 1789-ca. 2007; Aufzeichnungsgruppe: 64; Kästchennummer: 05442; Rolle: 208.
[23] National Archives at Washington, DC, Seventeenth Census of the United States, 1950; Jahr: 1950; Gebiet der Volkszählung: New York, New York, New York; Rolle: 3571, S. 71, Zählungsdistrikt: 31-2275.
[24] Soundex Index to Petitions for Naturalization filed in Federal, State, and Local Courts located in New York City, 1792-1989, New York, NY, USA: The National Archives at New York City.
[25] Florida Department of Health. Florida Marriage Index, 1927-2001, Florida Department of Health, Jacksonville, Florida.
[26] Ebd., Aufbau vom 06.04.1979; Siehe auch: Social Security Administration; Washington D.C., Social Security Death Index, Master File
[27] The Hechts of Miami leave for Israel to visit Bet Gamiliel, in: Land and Life 13 (1962), S. 40.
[28] Ebd.; Siehe auch: Joseph Szczawinski, Volksgeschichte, Bd. 1, Jerusalem 1964.
[29] Ebd.; Siehe auch: Social Security Administration; Washington D.C., Social Security Death Index, Master File.
Patenschaft
Die Patenschaft über den Stolperstein von Max Hecht haben Iris und Rolf Metzner übernommen.
