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Stadt Coburg

Stolperstein

Hermann Baumwollspinner

Inhalt

  1. Biographie
  2. Jugendjahre und Ausbildung
  3. NS-Zeit
Verlegeort des Stolpersteins

Biographie

Stolperstein für Hermann Baumwollspinner (ki-bearbeitet)

Hermann Baumwollspinner kam am 25. August 1912 in Coburg zur Welt.[1] Sein Vater Wolf Baumwollspinner (Öffnet in einem neuen Tab) wurde am 15. September 1882 Przemysl (polnisch: Przemyśl; Österreich-Ungarn), seine Mutter Frieda Baumwollspinner, geb. Freund (Öffnet in einem neuen Tab), am 1. April 1876 in Beuthen (Königreich Preußen) geboren.[2] Hermann hatte eine Schwester:

  • Johanna Baumwollspinner (geboren am 21. September 1909 in Coburg)[3]

Jugendjahre und Ausbildung

Wohnhaus der Familie Baumwollspinner in der Judengasse

Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs veränderte sich die gesellschaftliche Situation der jüdischen Bevölkerung in Coburg spürbar. Antisemitische Einstellungen, die bereits im Kaiserreich verbreitet gewesen waren, erhielten durch die militärische Niederlage, die Folgen des Versailler Vertrags sowie die politischen und wirtschaftlichen Krisenjahre neue Nahrung. In Teilen der Bevölkerung wurden Juden fälschlicherweise als Mitverantwortliche für die Niederlage und die schwierige Nachkriegslage betrachtet. Dies war ein Vorwurf, der sich in der antisemitischen „Dolchstoßlegende“ widerspiegelte. Bereits ab 1919 sind in Coburg vermehrt antisemitische Äußerungen und Agitationen in Flugblättern, Zeitungsartikeln, Plakaten und öffentlichen Vorträgen nachweisbar. Die Mitgliederzahl der jüdischen Gemeinde ging in dieser Zeit spürbar zurück: Während 1925 noch 316 Personen gezählt wurden, waren es 1933 nur noch 233. Neben wirtschaftlichen Gründen spielten für diesen Rückgang auch Wegzüge aufgrund der zunehmenden antisemitischen Anfeindungen eine Rolle.[4]

In dieser Zeit ging Hermann Baumwollspinner zur Schule. Er besuchte zunächst vier Jahre die Volksschule und anschließend vier Jahre die Realschule.[5] Die Erfahrungsberichte jüdischer Schülerinnen und Schüler dieser Zeit sind uneinheitlich: Einige berichten, sie hätten bis 1933 kaum antisemitische Anfeindungen erlebt, andere schildern Ausgrenzung, Isolation oder offene Feindseligkeiten – sowohl durch Mitschüler als auch durch Lehrkräfte.[6] Ob Hermann Baumwollspinner selbst derartige Erfahrungen machte, lässt sich anhand der vorhandenen Quellen nicht belegen. Nach seinem Schulabschluss Ostern 1928 begann er eine zweijährige Lehre als Kaufmann im Modewarengeschäft der Firma „Gebrüder Eckmann“ in Eisenach. Nach dem erfolgreichen Abschluss seiner Ausbildung absolvierte er ein einjähriges Volontariat bei der Firma „B.W. Kirsten“ in Ilmenau. Anschließend kehrte er nach Coburg zurück und arbeitete in dem Damen- und Herrenmodegeschäft seines Vaters Wolf Baumwollspinner[7], welches dieser 1919 in der Judengasse 8 eröffnet hatte.[8]

Mit seiner Rückkehr nach Coburg sah sich auch Hermann Baumwollspinner zunehmenden antisemitischen Angriffen ausgesetzt. Im Oktober 1931 wurde er, als er gemeinsam mit seiner Mutter Frieda Baumwollspinner den Marktplatz überquerte, von einer unbekannten Person mit einem Faustschlag ins Gesicht niedergeschlagen. Der Angriff war von solcher Intensität, dass er zu Boden stürzte und dort liegen blieb. Frieda Baumwollspinner erstatte daraufhin Strafanzeige gegen unbekannt.[9] Doch die von betroffenen jüdischen Bürgern eingereichten Beschwerden und Strafanzeigen wurden vom Coburger Polizeiamt nur unzureichend bearbeitet. Sie galten häufig als unbegründet oder wurden von den zuständigen Behörden nicht weiterverfolgt. Entsprechend blieb die Strafverfolgung aus – die Täter wurden meist nicht ermittelt. Solche Reaktionen der staatlichen Stellen waren in dieser Zeit keineswegs außergewöhnlich. Vielmehr spiegeln sie eine gesellschaftliche Entwicklung wider, in der antisemitisch motivierte Übergriffe zunehmend geduldet, bagatellisiert oder sogar bewusst ignoriert wurden.[10]

NS-Zeit

Nach der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 und der sukzessiven Ausschaltung politischer Gegner im Zuge der nationalsozialistischen Gleichschaltung verschärfte sich die Situation für Hermann Baumwollspinner dramatisch. Im März 1933 wurde er von Mitgliedern der SA verhaftet, die als sogenannte Hilfspolizei fungierten und die reguläre Stadtpolizei unterstützten.[11] Die gegen ihn erhobenen Vorwürfe lauteten auf angeblich „unzüchtige Handlungen“ und dienten offenkundig als Vorwand für seine Festnahme. Hermann Baumwollspinner wurde in sogenannte „Schutzhaft“ genommen – ein Begriff, der im nationalsozialistischen Sprachgebrauch die rechtsstaatlich nicht legitimierte, willkürliche Inhaftierung von Regimegegnern und jüdischen Bürgern verschleierte.  Während seiner Inhaftierung wurde Hermann Baumwollspinner mindestens einmal schwer misshandelt. SA-Leute malträtierten ihn solange mit Gummiknüppeln, bis er ein „Geständnis“ ablegte.[12] Anschließend wurde er in das Konzentrationslager Dachau überführt, wo er sich in Untersuchungshaft befand – davon mehrere Wochen in Einzelhaft. Die spätere Gerichtsverhandlung endete in einem Freispruch.[13] 

Nach seiner Haftentlassung verließ Hermann Baumwollspinner Coburg und lebte bei Verwandten in Berlin. Er bemühte sich dort erfolglos um eine Arbeitsstelle. Er wurde straffällig und zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Nach seiner Entlassung kehrte er nach Coburg zurück, eine psychiatrische Begutachtung erfolgte. Auf Anraten der jüdischen Fürsorge wurde er im Juni 1934 in das jüdische Lehrlingsheim in München aufgenommen. Er arbeite dort als „Ausgeher“.[14]

Am 23. Juni 1937 meldete er sich mit dem Ziel „unbekannt“ aus München ab. Seine letzte bekannte Adresse lautete Siegesstraße 19.[15] Danach verliert sich seine Spur. Höchstwahrscheinlich wurde Hermann Baumwollspinner während des Zweiten Weltkriegs in ein nationalsozialistisches Vernichtungslager im Osten deportiert und dort ermordet – vermutlich im Konzentrationslager Auschwitz. Todesdatum und -ort sind nicht bekannt.[16] Das Amtsgericht München setzte 1951 den 8. Mai 1945 als amtliches Todesdatum fest.[17]

Quellen- und Literaturverzeichnis

[1]   Staatsarchiv Coburg: AG Co. 53811, fol.4. Siehe auch: Stadtarchiv Coburg, Einwohnerkartei, Baumwollspinner, Hermann.

[2]   Staatsarchiv Coburg: AG Co. 39135, fol.1. Siehe auch Stadtarchiv Coburg, Einwohnerkartei, Baumwollspinner, Wolf & Frieda. 

[3]   Staatsarchiv Coburg: AG Co. 53811, fol.11. Siehe auch: "Regierungs-Blatt für das Herzogtum Coburg" vom 02.10.1909, S. 389. 

[4]   Zusammenfassung von Hubert Fromm, Die Coburger Juden. Geschichte und Schicksal, Coburg ²2001; Zur „Dolchstoßlegende“ siehe: Rosenthal, Jacob: „Die Ehre des jüdischen Soldaten“. Die Judenzählung im Ersten Weltkrieg und ihre Folgen (= Campus Judaica, 24), Frankfurt a.M., New York 2007, S.127-133; Siehe auch: Sammet, Rainer: „Dolchstoss“. Deutschland und die Auseinandersetzung mit der Niederlage im Ersten Weltkrieg (1918 – 1933), Berlin 2003, S.115-121; Siehe auch: Deist, Wilhelm: Der militärische Zusammenbruch des Kaiserreichs. Zur Realität der „Dolchstoßlegende“ in: Wilhelm Deist (Hrsg.): Militär, Staat und Gesellschaft. Studien zur preußisch-deutschen Militärgeschichte (= Beiträge zur Militärgeschichte, 34), München 1991, S.211-233.

[5]   Hermann Baumwollspinner, in Gedenkbuch der Stadt München (https://gedenkbuch.muenchen.de/index.php?id=gedenkbuch_transport&tx_mucstadtarchiv_stadtarchivkey%5Bopferid%5D=13285&tx_mucstadtarchiv_stadtarchivkey%5Baction%5D=showopfer&tx_mucstadtarchiv_stadtarchivkey%5Bcontroller%5D=Archiv&cHash=3ba2b1368ef88c25ae31e293cc8a6583 (Öffnet in einem neuen Tab)), letzter Zugriff: 10.09.2025.

[6]   Hubert Fromm, Die Coburger Juden. Geschichte und Schicksal, Coburg ²2001, S. 247 (Beispiel: Esther Hirschfeld (Öffnet in einem neuen Tab)); S. 252f. (Beispiel: Hildegard Reinstein (Öffnet in einem neuen Tab)); S. 266f. (Beispiel: Max G. Löwenherz); S. 287 (Beispiel: Hans Morgenthau (Öffnet in einem neuen Tab)); S. 292 (Beispiel: Gertrude Mayer); S. 307 (Beispiel: Siegbert Kaufmann (Öffnet in einem neuen Tab)). 

[7]   Hermann Baumwollspinner, in: Gedenkbuch der Stadt München (https://gedenkbuch.muenchen.de/index.php?id=gedenkbuch_transport&tx_mucstadtarchiv_stadtarchivkey%5Bopferid%5D=13285&tx_mucstadtarchiv_stadtarchivkey%5Baction%5D=showopfer&tx_mucstadtarchiv_stadtarchivkey%5Bcontroller%5D=Archiv&cHash=3ba2b1368ef88c25ae31e293cc8a6583 (Öffnet in einem neuen Tab)), letzter Zugriff: 10.09.2025; Siehe auch:Stadtarchiv Coburg, Einwohnerkartei, Baumwollspinner, Hermann.

[8]   „Coburger Zeitung" vom 16.03.1919; Siehe auch: Christian Boseckert. Eine Straße erzählt Coburgs Geschichte. Aus der Vergangenheit der Judengasse und deren Bewohner, Coburg 2008 (=Schriftenreihe der Historischen Gesellschaft Coburg 22), S. 18.

[9]   Stadtarchiv Coburg, A 8521, fol. 54; Siehe auch: Karl, Eva: „Coburg voran!“. Mechanismen der Macht – Herrschen und Leben in der „ersten nationalsozialistischen Stadt Deutschlands“, Regensburg 2025, S.530.

[10]  Stadtarchiv Coburg, A 8521_1, fol. 56,60f.; Siehe auch: Karl: „Coburg voran!“, S.532f.

[11]  Staatsarchiv Coburg: Staatsanwaltschaft Coburg 906, Bl.66.

[12]  "Coburger National-Zeitung" vom 25.03.1933; Siehe auch: Schütz, Hans: Justiz im „Dritten Reich“. Dokumentation aus dem Bezirk des Oberlandesgerichts Bamberg, Bamberg 1984, S.29; Siehe auch: Fromm; Hubert: Der Antisemitismus von 1919 bis 1942, in: Hubert Fromm (Hrsg.): Die Coburger Juden. Geduldet – Geächtet –Vernichtet, 3.Aufl., Coburg 2012, S.1-138, hier S.64; Siehe auch: Stadtarchiv Coburg: A 8521_2 fol.112.

[13]  Stadtarchiv Coburg: A 10 395 fol.16; Siehe auch: Karl: „Coburg voran, S.589; Siehe auch: Hermann Baumwollspinner, in Gedenkbuch der Stadt München :(https://gedenkbuch.muenchen.de/index.php?id=gedenkbuch_transport&tx_mucstadtarchiv_stadtarchivkey%5Bopferid%5D=13285&tx_mucstadtarchiv_stadtarchivkey%5Baction%5D=showopfer&tx_mucstadtarchiv_stadtarchivkey%5Bcontroller%5D=Archiv&cHash=3ba2b1368ef88c25ae31e293cc8a6583 (Öffnet in einem neuen Tab)), letzter Zugriff: 10.09.2025.

[14]  Ebd.; Siehe auch: Stadtarchiv Coburg, Einwohnerkartei, Baumwollspinner, Hermann; Siehe auch: Staatsarchiv Coburg: AG Co. 53811, fol.2.

[15]  Staatsarchiv Coburg: AG Co. 39135 fol.1(v), 24.

[16]  Wolf u. Hermann Baumwollspinner, in: Stadtgeschichte-coburg.de, abgerufen unter: https://www.stadtgeschichte-coburg.de/blog/2010/05/31/wolf-u-hermann-baumwollspinner-geb-1882-u-1912/ (Öffnet in einem neuen Tab) (letzter Zugriff: 15.09.2025); Siehe auch: Baumwollspinner, in Gedenkbuch der Stadt München :(https://gedenkbuch.muenchen.de/index.php?id=gedenkbuch_transport&tx_mucstadtarchiv_stadtarchivkey%5Bopferid%5D=13285&tx_mucstadtarchiv_stadtarchivkey%5Baction%5D=showopfer&tx_mucstadtarchiv_stadtarchivkey%5Bcontroller%5D=Archiv&cHash=3ba2b1368ef88c25ae31e293cc8a6583 (Öffnet in einem neuen Tab)), letzter Zugriff: 10.09.2025.

[17]  Staatsarchiv Coburg: AG. Co. 39135, fol.24.

Patenschaft

Die Patenschaft über den Stolperstein von Hermann Baumwollspinner hat Hannelore Plentz übernommen.

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Bildnachweise

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