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Stadt Coburg

Stolperstein

Edith Wertheimer

Inhalt

  1. Biographie
  2. Leben in Coburg und Wachsender Antisemitismus
  3. NS-Zeit
  4. Flucht
  5. Leben in Argentinien
Verlegeort des Stolpersteins

Biographie

Stolperstein für Elsa Wertheimer (ki-bearbeitet)

Edith Wertheimer kam am 8. Februar 1926 in Coburg zur Welt.[1] Ihr Vater Nathan Wertheimer (Öffnet in einem neuen Tab) wurde am 3. März 1890 in Themar (Herzogtum Meiningen), ihre Mutter Elsa Wertheimer, geborene Frankenberg (Öffnet in einem neuen Tab), am 27. Oktober 1897 in Coburg geboren. Edith war Einzelkind.

Leben in Coburg und Wachsender Antisemitismus

Edith Wertheimer wuchs in einer für deutsche Juden schwierigen Zeit auf. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs hatte sich das Leben für Juden in Deutschland und damit auch in Coburg schrittweise verändert. Viele Menschen machten sie für die Kriegsniederlage und das daraus resultierende wirtschaftliche und politische Chaos verantwortlich. Ab 1919 wurden zunehmend Flugblätter, Zeitungsartikel, Plakate und Vorträge verbreitet, die gezielt gegen die vermeintlichen Schuldigen dieser Misere hetzten. Zusammen mit dem frühen Aufstieg des Nationalsozialismus in der Vestestadt bildete dies die Basis für die späteren Gewalttaten gegen die jüdische Bevölkerung. Mit der Machtübernahme der Coburger Nationalsozialisten im Jahr 1929 begann eine erste Welle der Gewalt: Die Zerstörung jüdischen Eigentums und körperliche Angriffe auf einzelne jüdische Bürger nahmen drastisch zu. Die jüdische Gemeinschaft versuchte sich in dieser Zeit mit Anzeigen und Gerichtsprozessen zu wehren, doch ihre Bemühungen blieben erfolglos. Unter dem Eindruck dieser Entwicklung verließen viele Juden die Vestestadt, nachdem bis 1925 ein Anstieg der jüdischen Einwohnerzahlen zu verzeichnen war. Umfasste die jüdische Gemeinde 1925 noch 316 Personen, so sank deren Zahl bis 1933 auf 233 ab.[2]

Die Familie Wertheimer blieb während dieser Zeit von antisemitischen Gewalttaten und Sachbeschädigungen verschont, sodass Edith trotz der wachsenden Juden-Feindlichkeit relativ wohlbehütet aufwachsen konnte. Sie lebte mit seinen Eltern und in einer Wohnung des Hauses Löwenstraße Nr. 23 und besuchte ab 1932 die 1. Klasse der Rückertschule.[3]

NS-Zeit

Wohnhaus des Ehepaars Wertheimer in der Raststraße

Nach Hitlers Machtübernahme im Jahr 1933 änderte sich die Situation für jüdische Schüler dramatisch. Ab diesem Zeitpunkt begann eine systematische Vertreibung jüdischer Schüler aus dem deutschen Bildungssystem. Der Schulalltag wurde für sie immer belastender. Lehrkräfte, die sich dem Regime anpassten, diffamierten jüdische Schüler öffentlich, indem sie sie direkt beleidigten oder antisemitische Inhalte in den Unterricht einbrachten, die ihre kulturelle Identität herabsetzten. Gleichzeitig verstärkte sich ihre soziale Isolation, da Kontakte zu nicht-jüdischen Mitschülern durch die allgegenwärtige Propaganda und den sozialen Druck stark eingeschränkt wurden. Auch Edith Wertheimer musste diese Erfahrung machen. Ihre zahlreichen Freundinnen durften fortan nicht mehr mit ihr spielen und wandten sich von ihr ab.[4]

Zudem wurden jüdische Schüler zunehmend von außerschulischen Aktivitäten und sportlichen Wettbewerben ausgeschlossen, die oft unter der Kontrolle von NS- Organisationen wie der Hitlerjugend oder dem Bund Deutscher Mädel standen.

Mit der Einführung der Nürnberger Gesetze 1935 erreichte die Diskriminierung einen neuen Höhepunkt. Jüdische Schüler wurden vom Regime als „rassisch minderwertig“ bezeichnet, was nicht nur ihre gesellschaftliche Stellung weiter schwächte, sondern auch ihre Teilnahme am Bildungswesen stark einschränkte. Schließlich führte die zunehmende Entrechtung dazu, dass sie ab 1935/36 vollständig aus öffentlichen Schulen ausgeschlossen wurden und gezwungen waren, auf private jüdische Schulen zu wechseln. Unter diesen Umständen war auch Edith Wertheimer gezwungen, die Rückertschule zu verlassen. Sie fand jedoch Aufnahme in der Volksschule des jüdischen Predigers Hermann Hirsch (Öffnet in einem neuen Tab), der als Reaktion auf den Ausschluss jüdischer Schüler sein Knabenpensionat ab 1934 zu einer Lehranstalt erweiterte.[5] 1935 erhielt die Schule ihre offizielle Anerkennung, und die Schülerzahl wuchs bis 1936 auf 60 Jugendliche an.[6] Die Einrichtung besaß drei wesentliche Aufgaben: 1. den Schutz der Schüler vor antisemitischen Übergriffen, 2. die Vermittlung eines positiven Selbstverständnisses von der eigenen Kultur und 3. die Betonung des Fremdsprachenunterrichts als Vorbereitung auf die Emigration und das Leben im Ausland: Das Schicksal der Schule nahm in der Reichspogromnacht 1938 ein jähes Ende: SA-Männer stürmten das Gebäude, zwangen die Schüler, die Fenster einzuschlagen, und verhafteten Hermann Hirsch sowie sein gesamtes Personal. Kurz darauf gab das bayerische Kultusministerium die Anweisung, alle jüdische Schüler vom Unterricht zu beurlauben.[7] Zu diesem Zeitpunkt war Edith Wertheimer aber schon nicht mehr in Coburg.

Ediths Eltern blieben zunächst von den direkten Repressalien verschont. Das Geschäft ihres Vaters – Nathan Wertheimer betrieb eine Viehhandlung - wurde weder boykottiert, noch erlitt er Misshandlungen in der berüchtigten „Prügelstube“, wie es vielen anderen jüdischen Mitbürgern erging. 1935 verschlechterte sich die Lage jedoch dramatisch.

Zunächst verbot die Stadt Coburg eigenmächtig den jüdischen Viehhandel, und obwohl das bayerische Wirtschaftsministerium dieses Verbot nach einem Widerspruch aufhob, setzten die Behörden alles daran, den jüdischen Viehhändlern das Arbeiten nahezu unmöglich zu machen.[8] Durch eine Vielzahl von rechtlichen Schikanen und Einschränkungen reduzierte man die Zahl der jüdischen Viehhändler auf nur noch drei. Zwar erhielt Nathan Wertheimer seine Handelskonzession zurück, doch die Bedingungen des nationalsozialistischen Stadtregiments machten eine Fortführung seines Geschäfts praktisch unmöglich.[9]  Für die Familie Wertheimer, die seit 1934 in einer Wohnung in der Raststraße 6 lebte, begann damit ein Kampf ums wirtschaftliche Überleben.[10]

Daneben war die Familie Wertheimer den zunehmend strikteren antijüdischen Gesetzen immer stärker ausgeliefert. Nach der Einführung der Nürnberger Rassengesetze im Jahr 1935 wurden die Maßnahmen weiter verschärft, was das Leben der jüdischen Bevölkerung in Deutschland immer unerträglicher machte. In dieser Zeit machten Edith und ihre Eltern auch erste Erfahrungen mit antisemitischen Äußerungen gegenüber ihnen.[11]

Werbeanzeige des Knabenpensionats Hirsch in der Hohen Straße

Flucht

All diese Faktoren führten zu dem Entschluss Nathan Wertheimers, Coburg mit seiner Familie zu verlassen und ins Ausland zu fliehen. Der Plan gewann allerdings an Dringlichkeit, als Ende 1937 oder Anfang 1938 nach späteren Aussagen von Edith „Männer in schwarzen Uniformen“ gewaltsam in die Wohnung der Familie eindrangen und nach ihrem Vater suchten, um ihn wohl zu verhaften. Offenbar war er vorher aber gewarnt worden und hielt sich während dieser Zeit bei Freunden versteckt, die ihm Zuflucht gewährten.[12]  

Für die Familie Wertheimer stand nach diesen Ereignissen fest, dass sie Deutschland so schnell wie möglich verlassen mussten.[13] Doch die Suche nach einem sicheren Zufluchtsort gestaltete sich schwierig, da kaum ein Land bereit war, sie aufzunehmen und die Flucht schnell vonstattengehen sollte. Es mussten vor allem bürokratische und finanzielle Hürden genommen werden. Viele Aufnahmeländer besaßen Einwanderungsquoten, um so einer zügellosen Immigration entgegenzusteuern. Andere Länder verlangten Visa oder Reisepässe, die erst bei den deutschen Behörden beantragt werden mussten. Auch mussten Juden bei Verlassen des Deutschen Reiches hohe Abgaben wie die „Reichsfluchtsteuer“ bezahlen, um eine Ausreiseerlaubnis erhalten zu können.[14]  

Nach vielen Mühen hatten die Wertheimers alle Papiere zusammen und nahmen das erstmögliche Schiff, welches sie aus Deutschland brachte.[15] Anfang Februar 1938 meldete sich die Familie aus Coburg ab und trat die Reise an Bord des Passagierschiffs „General San Martin“ an, dass sie von Hamburg nach Buenos Aires brachte. Noch im Laufe des Februars erreichten sie ihre neue Heimat Argentinien.[16] Edith Wertheimer war damals zwölf Jahre alt.

Leben in Argentinien

Die Ankunft in Argentinien brachte der Familie Wertheimer Sicherheit vor Verfolgung. Doch die Integration in die argentinische Gesellschaft stellte sie vor große Herausforderungen. Viele Flüchtlinge mussten damals erhebliche Anstrengungen unternehmen, um sich ein neues Leben aufzubauen. Dabei unterstützten oft die bestehenden jüdischen Gemeinden in Argentinien. Im Fall der Wertheimers war es insbesondere die Stiftung des deutschen Unternehmers Maurice de Hirsch (1831–1896), die der Familie half. Diese Stiftung hatte in Argentinien Land erworben, um geflüchteten russischen Juden ein Stück Land zur Verfügung zu stellen, das sie bewirtschaften konnten. In den 1930er Jahren erhielten auch geflüchtete deutsche Juden die Möglichkeit, durch die Stiftung Land zu bekommen. Dieses Land lag in Rivera, einer Ortschaft in der Provinz La Pampa.[17] Dort lebten etwa 16 jüdisch-deutsche Familien, die in der Landwirtschaft arbeiteten.[18] Auch die Familie Wertheimer gehörte dazu. Nathan Wertheimer war dort als Viehzüchter tätig,[19] Doch das Leben in Rivera war entbehrungsreich. Es fehlte an notwendiger Infrastruktur, und die extremen klimatischen Bedingungen Südamerikas erschwerten das Überleben erheblich. Viele Flüchtlinge gaben die Landwirtschaft aufgrund dieser belastenden Umstände wieder auf. Auch Edith Wertheimer musste sich mit diesen schwierigen Lebensbedingungen auseinandersetzen, die sich grundlegend von denen in Deutschland unterschieden.[20] Ihr fiel es jedoch leicht, in der neuen Heimat Fuß zu fassen. Für sie war es anfangs aufregend, in einem neuen Land zu leben. Sie musste zunächst auch nicht zur Schule gehen, was sie als positiv empfand. Sie fand schließlich unter anderen deutschen und jüdischen Einwanderern neue Freunde und spielte mit Kühen und Hühnern.[21]

In dieser Umgebung wuchs Edith Wertheimer zu einer jungen Frau heran. Mit 18 Jahren lernte sie in Rivera ihren zukünftigen Ehemann Arthur Levy kennen. Auch er war Jude, flüchtete aus dem nationalsozialistischen Deutschland nach Argentinien  und wurde am 6. März 1920 in Steimel im Westerwald geboren.[22] Sie heirateten jung und gründeten eine Familie mit drei Söhnen und einer Tochter.[23]

In den 1950er Jahren führte die Industrialisierung und Urbanisierung in Argentinien, gefördert durch die Politik von Juan Domingo Perón, zu einer starken Landflucht. Technologische Fortschritte und die sinkende Rentabilität der Landwirtschaft verringerten die Arbeitsmöglichkeiten auf dem Land. Gleichzeitig erschwerten ungleiche Landverteilung und mangelnde Infrastruktur das Leben in ländlichen Regionen zusätzlich. Städte wie Buenos Aires hingegen boten bessere Arbeitsplätze, Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung sowie kulturelle Anreize. Diese Entwicklungen machten das städtische Leben für viele attraktiver und veränderten die gesellschaftliche und wirtschaftliche Struktur des Landes nachhaltig.[24]

Auch Edith und Arthur Levy verließen in dieser Zeit Rivera und zogen nach Buenos Aires. Dort verstarb Edith Levy schließlich am 14. August 2016 im Alter von 90 Jahren.

Quellen- und Literaturverzeichnis

[1]    Stadtarchiv Coburg, Einwohnerkartei, Wertheimer, Nathan und Elsa.

[2]    Zusammenfassung bei Hubert Fromm, Die Coburger Juden. Geschichte und Schicksal, Coburg ²2001.

[3]    Stadtarchiv Coburg, Einwohnerkartei, Wertheimer, Nathan und Elsa; Gaby Schuller, Elsa, Nathan und Edith, Wertheimer, in: Geschichte der Coburger Juden. Eine virtuelle Ausstellung (https://coburger-juden.de/elsa-nathan-und-edith-wertheimer (Öffnet in einem neuen Tab)/), aufgerufen 06.09.2024. Offline.

[4]    Schuller, Wertheimer.

[5]    Fromm, Coburger Juden, S. 212. 

[6]    Siehe Darstellung bei Fromm, Coburger Juden, S. 207-223.

[7]    Fromm, Coburger Juden, S. 95, 222.

[8]    Fromm, Coburger Juden, S. 103f. 

[9]    Stadtarchiv Coburg, A 10.396, unfol., Rundschreiben der Bayerischen Politischen Polizei vom 22. und 24.10.1935.

[10]   Stadtarchiv Coburg, Einwohnerkartei, Wertheimer Nathan und Elsa.

[11]   Zeitzeugeninterview mit Andrea Levy, in: Digitales Stadtgedächtnis (https://www.stadtgeschichte-coburg.de/blog/2022/06/21/zeitzeugeninterview-mit-andrea-levy-nachfahrin-der-juedischen-familie-wertheimer-aus-coburg/ (Öffnet in einem neuen Tab)), aufgerufen 02.01.2025.

[12]   Erinnerung der Tochter Edith Wertheimer, abgedruckt bei Gaby Schuller, Elsa, Nathan und Edith Wertheimer, in: Geschichte der Coburger Juden. Eine virtuelle Ausstellung (https://coburger-juden.de/elsa-nathan-und-edith-wertheimer/ (Öffnet in einem neuen Tab)), aufgerufen 06.09.2024. Offline.

[13]   Zeitzeugeninterview mit George Levy, in: Digitales Stadtgedächtnis (https://www.stadtgeschichte-coburg.de/blog/2022/06/21/zeitzeugeninterview-mit-george-levy-nachfahre-der-juedischen-familie-wertheimer-aus-coburg/ (Öffnet in einem neuen Tab)), aufgerufen 06.09.2024.

[14]   RGBl; I 1934 , S. 392f.

[15]   Zeitzeugeninterview mit George Levy, in: Digitales Stadtgedächtnis (https://www.stadtgeschichte-coburg.de/blog/2022/06/21/zeitzeugeninterview-mit-george-levy-nachfahre-der-juedischen-familie-wertheimer-aus-coburg/ (Öffnet in einem neuen Tab)), aufgerufen 06.09.2024.

[16]   Stadtarchiv Coburg, Einwohnerkartei, Wertheimer Nathan und Elsa; Schuller, Wertheimer. 

[17]   Zeitzeugeninterview mit George Levy, in: Digitales Stadtgedächtnis (https://www.stadtgeschichte-coburg.de/blog/2022/06/21/zeitzeugeninterview-mit-george-levy-nachfahre-der-juedischen-familie-wertheimer-aus-coburg/ (Öffnet in einem neuen Tab)), aufgerufen 06.09.2024.

[18]   Ebd.

[19]   Zeitzeugeninterview mit Andrea Levy, in: Digitales Stadtgedächtnis (https://www.stadtgeschichte-coburg.de/blog/2022/06/21/zeitzeugeninterview-mit-andrea-levy-nachfahrin-der-juedischen-familie-wertheimer-aus-coburg/ (Öffnet in einem neuen Tab)), aufgerufen 02.01.2025.

[20]   Ebd.; Südamerika, in: Geschichtswerkstatt. Verfolgung und Emigration jüdischer BürgerInnen in Göttingen und Umgebung (https://juedische-emigration.de/de/emigration/aufnahmelaender/suedamerika.html), aufgerufen am 06.09.2024. 

[21]   Zeitzeugeninterview mit Andrea Levy, in: Digitales Stadtgedächtnis (https://www.stadtgeschichte-coburg.de/blog/2022/06/21/zeitzeugeninterview-mit-andrea-levy-nachfahrin-der-juedischen-familie-wertheimer-aus-coburg/ (Öffnet in einem neuen Tab)), aufgerufen 02.01.2025.

[22]   USC Shoah Foundation Los Angeles, Visual History Archive: The Holocaust.

[23]   Zeitzeugeninterview mit Andrea Levy, in: Digitales Stadtgedächtnis (https://www.stadtgeschichte-coburg.de/blog/2022/06/21/zeitzeugeninterview-mit-andrea-levy-nachfahrin-der-juedischen-familie-wertheimer-aus-coburg/ (Öffnet in einem neuen Tab)), aufgerufen 02.01.2025.

[24]   Victoria Eglau, Pioniere in der Pampa, in: Jüdische Allgemeine vom 25.01.2016.

Patenschaft

Die Patenschaft über den Stolperstein von Elsa Wertheimer hat George Levy übernommen.

Erläuterungen und Hinweise

Bildnachweise

  • Stadt Coburg
  • Christian Boseckert
  • The Encyclopedia of Jewish Life. Bd. I, S. 265
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