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Stadt Coburg

9. Novemnber 2023

Gedenkweg zur Reichspogromnacht

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,
sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Aktive unseres Netzwerks Erinnerungskultur,

vielen Dank, dass Sie heute alle hier sind. 

 

Denn nie war es wohl in der jüngeren Vergangenheit wichtiger als in diesem Jahr, dass wir nicht nur den schrecklichen Geschehnissen in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 gedenken, vor allem den Menschen, die hier schreckliches Leid erfahren mussten, sondern zusammenstehen und gemeinsam manifestieren: Das darf nie wieder geschehen! Denn viele von uns spüren, dass wir dem Kipppunkt sehr nah sind. 

Mir als Mensch Dominik Sauerteig, als Oberbürgermeister und als Sprecher des Bündnisses „Coburg ist bunt“ ist es eine Herzensangelegenheit, dass wir ein klares Zeichen setzen: in der Stadtgesellschaft, im Coburger Land und darüber hinaus. 

Wir alle stehen zusammen und treten dafür ein, dass sich die Geschichte nicht wiederholt. Dass keiner sagen kann, er wisse nicht was damals passiert sei. Und dass wir den Anfängen wehren. 

Erst kürzlich postete der Landtagsabgeordnete Kristian von Waldenfels die Geschichte einer jungen Frau aus Hof, die sich fremden Menschen vorstellt mit: „Ich bin Jüdin, wenn das ein Problem ist, sag es besser direkt.“ Eine junge Frau, noch nicht einmal volljährig, die sagt, sie habe ihr Leben lang Antisemitismus erlebt, selbst als Kind in der Schule. 

Wenn ich das lese frage ich mich: Wie kann so etwas passieren? Wie können wir das als Gesellschaft zulassen? Wie oft erleben Juden in Deutschland, in ihrer Heimat, derartige Beleidigungen, vielleicht auch Bedrohungen? Geht es auch Menschen in Coburg so?

Und vor allem: Wie kann es einen Menschen kalt lassen, der so etwas hört?

Uns alle, die wir heute hier versammelt sind, lässt es nicht kalt, uns ist die Sicherheit aller unserer Mitbürger das höchste Gut – unabhängig von der Religion oder anderen Kategorien. 

Gewalt, Ausgrenzung, Verletzung der Menschenrechte, Willkür und totalitäres Denken: Es darf nie wieder geschehen. 

Offensichtlich ist Judenfeindlichkeit und Ausgrenzung aber dennoch ein aktuelles Thema. Sei es durch verbale Angriffe wie bei der jungen Frau in Hof oder bei Schmierereien an Häusern jüdischer Mitbürger. 

Dieser Judenhass ist unerträglich.

Toleranz, Offenheit und Hilfsbereitschaft – Werte auf die wir in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten zu Recht stolz waren in unserer Demokratie. 

Wir hatten etwas gelernt aus unserer Vergangenheit – vermeintlich. 

Umso mehr erschreckt es mich, wie extremistische Gruppierungen aber auch vermeintlich von ihrer Religion angetriebene, fundamentalistische  Gruppen zunehmend Oberwasser gewinnen. 

Egoismus sowie Angst und Ablehnung gegenüber Fremden wachsen. Andersgläubige werden angegriffen. Die Stimmung ist aufgeheizt, sachliche Argumente auszutauschen ist schwierig. Die Gräben wachsen. 

Systematische Verfolgung und brutaler Mord an Menschen, organisierte Judenverfolgung, Rechts- und Zivilisationsbruch, staatlich organisierter Terror, grausame Verletzungen der Menschenrechte. Es darf nie wieder geschehen. 

Lassen Sie uns jetzt gegensteuern. Verhaltensweisen, die dem friedlichen Miteinander in unserer Stadt zuwiderlaufen, tolerieren wir nicht. 

Wir rufen alle auf für ein friedliches Miteinander einzustehen. Und in Sprache und Verhalten Mäßigung an den Tag zu legen. 

Coburg darf nicht aufgrund unterschiedlicher Sichtweisen zur Arena für hasserfüllte oder gar gewalttätige Auseinandersetzungen werden.  

Wir dürfen nicht so tun als wüssten wir nichts. Wir dürfen nicht wegsehen. Wir müssen hinsehen und aufstehen, wenn wir auch nur die leisesten Anfänge von Ausgrenzung, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus erkennen.

Denn uns eint sicherlich eine Frage: Warum hat am 9. November 1938 fast niemand eingegriffen? Von viel zu wenigen Ausnahmen abgesehen: Warum haben die meisten weggesehen – auch in unserer Stadt, auch in unserer Heimat? Die ja noch viel früher dem NS-Wahn verfiel als andere.

Natürlich – keiner von uns, die wir hier stehen, ist verantwortlich für das, was 1938 geschehen ist. Doch wir sind verpflichtet, die Verantwortung zu übernehmen für das, was heute und in Zukunft in unserem Land geschieht.

Wir haben die Pflicht, aus der Geschichte zu lernen. Nur wer seine Geschichte kennt, der kann seine Zukunft gestalten. Und nur wer aus seiner Geschichte Lehren zieht, wird mithelfen, dass sie sich im Schlechten nicht wiederholt.

Und deshalb müssen wir nicht nur heute, sondern jeden einzelnen Tag erinnern und mahnen. Einschreiten, schützen und unterstützen.  

Das ist unsere Verantwortung – als Demokratinnen und Demokraten und als Menschen. 

Wir müssen dafür sorgen, dass unsere Demokratie nicht nur wehrhaft ist, sondern sich auch tatsächlich gegen jede Form von Ausgrenzung, Rassismus, Gewalt und Verhöhnung von Menschenrechten wehrt. 

Deshalb danke ich an dieser Stelle allen, die Tag für Tag die Erinnerung hochhalten. 

Die für unsere Demokratie einstehen. Und heute besonders bei denen, die an der Organisation und Durchführung dieser Gedenkveranstaltung mitwirken aus dem Kreis der Evangelischen Erwachsenenbildung, des Deutschen Gewerkschaftsbunds, der Initiative Stadtmuseum und vielen zumeist langjährig engagierten Privatpersonen. Namentlich nennen und danken will ich für Sie alle Pfarrer Dieter Stößlein als Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Lebendige Erinnerungskultur.

Ich danke Ihnen allen für Ihre Solidarität und Unterstützung bislang und hoffentlich auch in Zukunft. 

Es lohnt sich die Energie in das Gute zu stecken – in Frieden, Menschlichkeit und Miteinander. 

Und all denjenigen, die in diesen Tagen mit Worten oder Verhaltensweisen das friedliche Miteinander aller Menschen auch bei uns in der Stadt Coburg gefährden und das aufs Spiel setzen was wir hier über viele Jahre gemeinsam aufgebaut haben, das gute Miteinander, rufe ich zu: 

Kehrt um und beendet diesen Irrweg. 

Margot Friedländer, eine der wenigen noch lebenden Zeitzeugen und Opfer des Holocaust hat jüngst in einem Zeitungsinterview gesagt: 

„Aber Hass ist eine schreckliche Sache. Ich würde nie hassen wollen. Es bringt nichts. Ich habe nie gehasst, auch früher nicht. Es gibt kein christliches, muslimisches, jüdisches Blut, nur menschliches. Seid Menschen! Das ist es, was ich zu sagen habe.“